schlag 13 – teil 3

epiphany

es beginnt mit einer seance. Vier aufgeregte gäste und das medium, eine mitzwanzigerin in schwarzem abendkleid und ballerinas, aufgesteckte schwarze haare und ein silbernes medaillon. Sie ist schön, hat dunkle, wissende augen und begrüßt jeden mit einem kuss auf beide wangen. Sie heißt mademoiselle savie und ihr stil entspricht dem der schriftlichen einladung. Ein hauch magie noire und arte nouveau. Ein junges ehepaar, er in dunklem anzug, sie blond, in schwarzen jeans und bluse. Ein herr anfang vierzig, an den schläfen ergraut, stilvoll legère in hellem leinen. Eine junge dame. Anfang zwanzig, mit großen weltoffenen augen. Sie fühlt sich etwas unwohl in der magengegend, aber freunde haben ihr den eintritt bezahlt und sie konnte nicht einfach absagen. Ein teil des unwohlseins mag von aufregung herrühren. Es ist ihre erste begegnung mit der geisterwelt und sie hegt für sich ein großes interessse an übersinnlichen dingen. Der ort ist befriedigend andersartig, ohne übertrieben zu wirken. Dunkles holz, teppiche, ein paar kerzen in silbernen haltern. Ein bild im ikonenstil, die darstellung eines engels, der mit flammendem schwert wache hält. Die fenster sind verhängt, der ganze salon fügt sich halboffen in das haus am see unter alten bäumen. Ein abend im oktober, der die seelen zum verweilen einläd, zum freundlichen übertritt aus ihrem reich in die welt der lebenden. Ein glas ausgesuchten rotweins, die gäste lernen sich kennen. Die übrigen scheinen nicht zum ersten mal hier zu sein, wissen schon von früheren begegnungen zu erzählen. Jeder abend hat seine veteranen und seinen debütanten, so wird der kreis behutsam erweitert und die gastgeberin verbindet beide mit ihrem starken charme und feiner esoterik.

Später sitzen alle um den runden tisch und halten sich bei den händen. Das licht ist gedimmt und feines räucherwerk macht die luft vertraulich. Das medium begibt sich in trance und öffnet ihren sechsten sinn. Die junge dame spürt eine schwere im magen. Ihr ist etwas übel. Sie hat erst vor zwei stunden fetten fisch gegessen und der scheint in ihrem bauch wie an den scheiben eines aquariums anzustoßen. Sie hätte die einladung natürlich absagen können, aber das würde sie sich selbst nicht verzeihen können. Hände in händen sackt ihr kopf nach vorne, dann nach hinten. Sie sieht Verwesendes im wasser, aufgeschwemmt, bleich, ein menschlicher körper, der von fischen und kleineren meereswesen bissenweise zerteilt wird, bis die knochen auf den grund sinken, in völlige dunkelheit entgleiten. Sie sieht fische, die kleinere wesen fressen, größere fische, die kleinere fische fressen und einen noch größeren fisch, wie eine lange kette, eine sequenzierte geschichte, die ganze zeitalter umfasst. Madame savie heult auf und eine spannung gerät in den kreis umschlossener hände. Ein wie aus eisen gegossener ring. Anwesenheit enthüllt sich tiefrot, dessen abgründe in schwarz tauchen, darin die präsenz eines geistes, aber nicht derart wie erwartet und erhofft. Etwas gänzlich anderes ergreift jetzt besitz und auch nicht von madame savie, sondern von der jungen dame, die sich fragt, was es mit dem fisch auf sich hatte, bevor ihr bewusstsein wie ein vorhang beiseite geschoben wird. Der geist feiert seine auferstehung über die nahrungskette in dem er den zwar ausgesaugten aber nur halb verdauten fisch auf die tischplatte erbricht.

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain