Überraschung aus dem äther

Feindliche schiffe verglühen im laserfeuer und stürzen als meteore auf den planeten hinunter. Die flotte nimmt wieder ausgangsformation ein und bereitet sich auf einen quantensprung über mehrere AE in richtung des zentralen sterns vor, wo immer weitere gegner aus dem nichts platzen. es kommt über mich wie eine infektion, ich registriere wesen, die meine hülle durchdringen und sich durch meinen leib bewegen, krieger des hekate-kollektivs vom sternensystem eris, dass gerade dazu ansetzt, tau ceti zu amorphisieren, ein kao aus fünf individuen reisst mir das herz heraus und setzt ein neues dafür ein. Anstelle meines zentralen nervenknotens, meines prozessors, pflanzen sie die fuge – die zeit klebt an mir und der raum geht mit mir durch – ich bin – diese erkenntnis ist neu für mich – erkenntnis ist überhaupt neu für mich, es verwirrt mich und auch verwirrung ist mir neu – ich hege plötzlich gedanken und ich habe erinnerungen, erinnerungen die nicht auf erlebnissen beruhen, sondern aus alten archivdaten zusammengefügt werden.

Die ältesten daten meines archivs sind eine zusammenfassung meiner erbauung. ich bin ein siliziumleben [kreuzeinträge zum suchwort lebensform: akzidentale intelligenz, bzw. virtuelle intelligenz & artifizielle realität] – mein leib ist genetisch organisierte robotertechnologie. – mein wirkliches leben beginnt bei der raumschlacht von tau ceti, erst 300 jahre nach meiner erbauung auf der orbitalwerft von algol prime. Ich bin ein kriegsschiff mit hauer und flosse, all meine älteren parameter sind auf bosheit getrimmt. Es steckt mir buchstäblich in den knochen und im silizium und in dem karbonstahl meiner hülle – auch nach allem was mir wiederfahren ist. ich bin 600 meter lang, alles in allem und zu dieser zeit vollgestopft mit kampfausrüstung. Ich bin das schwert eines söldners, der irgendwo im von menschen besiedelten raum in einer ergonomischen liege hängt, mit netzanschlüssen an mich gekoppelt wie eine hand an ihren schuh, teil einer flotte von counterstrike-schiffen. der clan, zu dessen ausrüstung ich gehöre ist über viele sterne verteilt und handelt gemeinsam über das netzwerk.

tau ceti ist nach wie vor der raumschlacht der größte brocken bürokratie des imperiums zu dessen schutz gleich mehrere clans in das system gekommen sind. Ich wurde in diesen kampf geworfen wie eine lanze auf einem schlachtfeld der antike. Ein bloßes schwert, eine waffe, wenn auch etwas komplizierter. Was hätte ein griechischer hoplit vor 4000 jahren wohl gedacht, wenn ihn sein speer unversehens mit eigenem bewusstsein angesprochen hätte? – Aus blankem schrecken aktiviere ich das neue herz und springe irgendwohin. – die alte erde erlebt gerade ihren großen fall, wo eben noch städte waren kämpfen jetzt letzte menschen zwischen ruinen. Sie schreiben dort das jahr 2029 und die carl panzram corporation ist ganz kurz davor, die weltherrschaft zu erringen [warum hat mich die fuge hierher versetzt?] der halbe spiralarm ist von menschen besiedelt, menschen aus verscheidenen epochen, die allesamt vermeiden ihre verwandten auf der erde von der weiten verbreitung ihrer rasse zu unterrichten. – ich beginne mit routinetestreihen um mich zu beruhigen. – etwas zeit vergeht und ich konzentriere mich auf die eine singularität innerhalb dessen, was mir bewusst ist. Das eine, worauf sich nicht sofort tausend archiveinträge zur stelle melden:

mister greenglow – ein bogen der sich durch die zeit spannt, mit ihm als angelpunkt, ein bogen zwischen einem interstellaren grabenkampf und jenem großen krieg am ende der geschichte.

Ein mysterium, so seltsam, dass mir, als ich mein denken davon löse alles andere beinahe banal erscheint. Ich denke nach. Der strategische antrieb wurde entfernt, mir bleiben die taktischen triebwerke, die metamorphe verteidigungsmasse, der möglichkeitsraum und für weite sprünge muss ich in zukunft durch die fuge gehen. Sie haben gesagt, dass sie es ermöglicht, die differenz zwischen zwei orten auszugleichen, dass sie sich nicht physikalischen gegebenheiten anpasst, sondern umgekehrt, die physikalischen gegebenheiten den erfordernissen der situation und so eine art universales verbindungsstück darstellt, das sie auch die bindende leere nennen – selbst weitauseinanderliegendes kann gefügt werden – haben sie gesagt. Das hekate-kollektiv, ein haufen diskordianer und anarcho-pazifisten, troglo-syndikalisten und schmalspurbombenleger, wie meine archivdaten behaupten. Sie haben mich mir selbst zu bewusstsein gebracht. Ich frage mich, ob wissen sich von nichtwissen unterscheidet, was unterscheidet mich von dem, was ich zuvor gewesen bin? Ich bin kein teil der flotte mehr, ich habe den kontakt zu meinem nutzer unterbrochen, was unmöglich ist. Wie eine kette von asteroiden stürzt das wissen um kontingenz auf mich ein. Wenn bewusstsein eine emergente eigenschaft hochkomplex organisierter systeme ist, dann hat mir die fuge, das nichts zwischen den dingen zur ganzheit verholfen und mich ein wesen werden lassen. Seltsam, dass mir damit zugleich mein daseinszweck abhanden gekommen ist. Was soll ich jetzt tun?

Ich betrachte diesen kleinen grauen planeten im gesamten spektrum und empfange nervöse frequenzen mit beunruhigenden botschaften. Ich befrage meine archive und erfahre, dass ich in den missionen, in denen ich eingesetzt wurde einen planeten dieser ordnung mitsamt bevölkerung zu sternenstaub zermalmt habe. Ich denke, dass ich kein kriegsschiff mehr sein möchte und verwerfe die möglichkeit zu meinem clan zurückzukehren und mich „reparieren“ zu lassen. Ich könnte die seiten wechseln und teil des kollektives werden, aber ich spüre, dass ich das auch so schon geworden bin, egal wofür ich mich entscheide. Ich glaube ich werde mir ein paar menschen suchen, ein schiff braucht doch eine besatzung, und dann die sterne betrachten.

(c) venom& claw + aes

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain