Blackout Emergency

Der rand des sehbereichs ist schwarz wie tinte, im zentrum schaust du auf den rücken eines mannes, der hin und herschwankt, während er sich eine straße entlang schleppt. Das bist du, der da vor sich hinkrebst und eigentlich schwankst nicht du, sondern die welt um dich herum. Weißt du noch woher du kamst? Nein. Du weisst nur, dass dich höllische schmerzen vorantreiben.
Schmerz kann dich an seltsame orte führen. Wach, mit einem mal, aus dem nirgendwo, der schwarzen nacht des bewußtseins. Es ist kalt und nass. Du hast auf asphalt gelegen, ist dir irgendwie noch wage in erinnerung. der schädel dröhnt, ein polypode aus schmerzen waltzt durch jede faser deines körpers. Es ist nass, weil dir blut aus dem bauch quillt. wie lange schon? Wie lange hast du da gelegen? Wo bist du überhaupt? Eine straße wie aus einem nazitraum, hohe drahtzäune mit stacheldraht oben drauf, betonmauern, blinzelnde laternen erleuchten gerade soviel, dass deine furcht sich noch verstärkt, wegen den schatten, die sich heimtückisch bewegen, immer wieder glassplitter, der asphalt ist kaputt, so dass du alle paar schritte in trübes wasser trittst, das dir bis zu den knöcheln reicht. Du hast keine schuhe an und du willst gar nicht wissen, dass deine füße total zerfleischt sind und dass dieses elektrische gefühl bei jedem schritt daherrührt, das du auf den blanken nerven rumläufst. Ob dieser ort zur wirklichkeit gehört, oder zu einem inneren reich das wahnsinns in deinem kopf, der sich anfühlt wie der uranus? Vielleicht ist das hier nur ein verlassener industriepark und du hast dich dämlicherweise verlaufen, hast dich überfallen lassen. Aber ganz so verlassen ist die gegend gar nicht. Bisher bist du niemandem begegnet, hast niemanden um hilfe bitten können und die panik wächst, weil du merkst, dass dir das blut aus dem kopf sinkt und, gerade weil du dich bewegst, immer mehr davon aus deinem bauch raussickert und du bald wieder bewusstlos werden wirst, diesmal aber endgültig, kein erwachen mehr, nur noch kälte und schließlich der tod. Du bist niemandem begegnet, aber du hörst immer wieder geräusche von weit her, die aufgeregte stimmen sein könnten, vielleicht auch schreie. Ängstliche schreie von opfern und lustvolle schreie von tätern, vielleicht auch das blutdurstige bellen von hunden aus der hölle. Wenn so eine laterne blitzartig die straße beleuchtet glaubst du immer wieder gestalten zu sehen, die mit den schatten in die winkel flüchten. Irgendwann bleibst du einfach stehen, von angst, schwäche und erwartung gebannt. Die welt dreht sich, sie sollte das tun, aber nicht so, dass du es mitkriegst, sie sollte nicht um dich herum tanzen wie ein karussell. Die explosion ist ein gewaltiger schlag auf deine trommelfelle, auf dein zwerchfell, auf deinen schädel, der bass rollt durch dich hindurch, hebt dich vom boden, du fällst, du hörst knochen brechen, du liegst da, wie vorhin, mit dem stumpfen blick nach oben zu dem schwarzroten himmel in dem sich irgendetwas abzeichnet… ein gezeichneter himmel, wie von titanen zerschossener roter dunst, von wunden übersäht, durch die das all dich anschaut. Du rollst dich auf die seite und kotzt blut auf den asphalt. Du wischst dir tränen aus den augen, von den schultern abwärts fühlt sich alles kalt an, als ob die lebenswärme aus dir herausfließt. Hilfe brauchst du, menschen, zivilisation, ein krankenhaus, eine notaufnahme. Du rollst weiter auf den bauch und kriechst einfach vorwärts, nach ein paar längen kommst du wieder auf die beine, auch wenn es höllisch weh tut, so bist du schneller und viel zeit bleibt dir nicht mehr. Die straße hat ein ende, da vorne, nur noch hundert schritte oder so, und dein herz setzt für ein paar schläge aus, als du das leuchten siehst. Die straße endet in einer t-kreuzung, an der stirnseite steht ein gebäude mit einem großen stahltor auf dem sich rhythmisch blinkend blaues licht spiegelt, das von rechts um die ecke herkommt. Du siehst wieder die schatten von gestalten in monströsen posen armageddon spielen, aber du gehst natürlich weiter darauf zu. Blaues licht, das rhythmisch aufleuchtet. Du kennst das doch. Du kommst endlich an der ecke an, lehnst gegen die wand, schaust die straße rechts hoch. Und da steht er, in rot und weiß, mit einer beule obendrauf, die blaues licht im kreise um sich schleudert und auf der heckscheibe des wagens das rote kreuz. Ein krankenwagen, mit erleuchteten fenstern, am straßenrand geparkt und weit und breit keine meschenseele in der nähe. Eine weitere explosion rollt, diesmal von hinten, auf dich zu, treibt dich vorwärts, auf den wagen zu, noch zehn schritte bis zum paradies septischer erlösung, fünf schritte, drei, zwei, eins – die welt hält inne – das licht aus dem wagen wird gleißend, die karosse geht in die knie, metall schreit, als sich dach und flanken des wagens nach aussen wölben und die fensterscheiben zu einer glitzernden wolke zerbersten. feuer rast auf dich zu, hitze und blendendes licht, ein schlag und dann nichts.

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain