sentinel

menschen sollten kein rohes fleisch essen. als seine herrchen damit anfingen wusste fips, dass etwas nicht in ordnung war. er beobachtete seit einiger zeit, wie sich ihr verhalten veränderte, war wachsam, wie es sich für einen guten hund gehörte. dieses leben hatte ihn viel zu faul werden lassen, den ganzen tag im haus, oder im hof, zweimal gassi gehen um den block zu markieren und jede menge zu fressen, dieses ganz leckere zeug, das aus verpackungen kam, auf denen andere vierbeiner zu sehen waren, die allerdings den namen hund kaum verdienten. viel zu klein waren die und nicht wirklich ernst zu nehmen. aber das fressen war gut, keine frage. also hatte er sich den bauch vollgeschlagen, solange das gute leben anhielt. dann gab es ein paar tage lang gar nichts zu fressen und jetzt gab es die knochen, die von dem übrig blieben, was die herrchen für sich selbst bei schafften. frisch und blutig.

fips magen revoltierte und er kotzte und schiss unkontrolliert und fühlte sich elend. er hatte angst, die guten manieren, die sie ihm beigebracht hatten waren seine gegenleistung für fressen und streichelei und überhaupt das, was man von seinem herrchen erwarten konnte und fips hatte mit seinen glück gehabt, wenn er seine erfahrungen mit denen anderer hunde verglich, mit denen er sich ausgetauscht hatte. jetzt wartete er auf seine strafe und, da der geruch gerade so gar nicht stimmte, versuchte er sich auf das schlimmste gefasst zu machen, wusste allerdings nicht so recht, was das schlimmste sein könnte. es geschah gar nichts. die sauerei die er hinterlassen hatte blieb wo sie war, stank und trocknete schließlich ein. sauerei. wenn er sich getraut hätte, hätte er angefangen laut zu bellen, bis das in ordnung gebracht worden war. statt dessen behielt er den schwanz zwischen die beine geklemmt und machte sich sorgen. die zeit verging anders, wenn man nicht gassi geführt wurde. die häufchen wurden mehr und mehr. das fleisch war jetzt nicht mehr immer frisch. manchmal gab es ein paar tage nichts und die herrchen waren die ganze zeit nicht einmal zu hause, dann gab es etwas zu fressen, was stank und wieder hochkam. ekelhaft. fips gab allerdings zunehmend weniger auf das was sein sollte und schlang herunter was es gab, nur für den fall, dass wieder knappheit eintrat. im haus war er jetzt länger nicht mehr gewesen, verbrachte die tage und die nächte im hof. er bellte viel. da draußen waren nämlich eine menge unheimlicher gestalten unterwegs, zwar nicht viel unheimlicher als seine herrchen, aber zudem völlig fremd und ziemlich dreist. sie hielten sich einfach nicht mehr an die grenzen und versuchten in den hof zu gelangen um da was auch immer anzustellen. fips sorgte dafür, dass sie wieder verschwanden. er war groß und laut und wie er glaubte ziemlich respekteinflößend. einem von diesen eindringlingen biss er ins bein, was ziemlich saftig und lecker war, aber als der tunichtgut das weite suchte, ließ er ihn laufen. so machte man das, zumindest früher. jetzt fragte er sich, ob es auch in ordnung gewesen wäre, wenn er diesen menschen einfach aufgefressen hätte. früher oder später, war sein verdacht, würde er sich sowieso selbst um sein fressen kümmern müssen. seine herrchen waren seit ein paar tagen im haus geblieben, ohne sich blicken zu lassen. trotzdem, er entschied sich dazu, die guten sitten nicht so einfach fallen zu lassen. was einmal gewesen war, konnte wieder kommen und er wollte auf jeden fall als braver hund dastehen, wenn sich alles wieder normalisierte.

seine herrchen waren eigentlich zu dritt, es kamen aber nur zwei wieder aus dem haus heraus. es waren die beiden großen, das junge sah er von da an nie wieder. sie wirkten gefährlich auf ihn, abgemagert und mit noch mehr wildheit im blick. sie trugen die langen stöcke, die sie jetzt immer bei sich hatten, in den vorderläufen und fips bekam angst, dass sie vielleicht zu schwach waren um draußen nach beute zu suchen und sich deshalb erst einmal an ihm vergreifen würden, aber dazu kam es nicht. das frauchen blieb bei ihm sitzen und kraulte sogar den pelz hinter seinen ohren, wie sie es früher immer getan hatte. fips genoss das gefühl, blieb aber trotzdem auf der hut. das herrchen ging auf die straße und blieb eine weile fort. das Frauchen war nervös, fips roch eine angst an ihr, die er noch nicht kannte. Als das herrchen zurückkam und ein paar brocken frisches fleisch im hof abglegte, stürzten sich beide, herrchen und frauchen darauf und fingen an zu fressen. Fips fragte sich, ob er auch eingeladen war. Das ganze war neu für ihn, bisher hatten sie nie im hof auf dem boden gekauert. Fips entschloss sich zurückhaltend zu bleiben und abzuwarten, ob etwas für ihn übrig blieb. Er tappte um die beiden herum zum tor und spähte hinaus auf die straße. An verschiedenen ecken lagen kadaver und die schwarzen vögel hüpften auf ihnen herum. Zweibeiner waren nicht zu sehen. Er blickte zurück – nein, keine zweibeiner – herrchen und frauchen konnte man im moment wirklich nicht dazu zählen. Aus gewohnheit wedelte fips mit dem schwanz, dann kam ihm eine idee. Er kehrte zum haus zurück, vergewisserte sich, dass die beiden menschen noch mit fressen beschäftigt waren, dann prüfte er die tür, fand sie offen und schlüpfte hinein. Der geruch im innern war stechend faulig, überall lag zeug auf dem boden, knochen unter anderem. Fips suchte nach dem jungen herrchen, fand aber nichts. Damit war alles klar für ihn. Herrchen und frauchen waren entgültig verwildert. Wenn er die sitten aufrecht erhalten wollte, musste er fortgehen und außerhalb nachschauen, was ein guter hund tun konnte, wo er gebraucht wurde. Hier konnte er nichts mehr ausrichten. Wäre er eines dieser schoßtiere gewesen, hätte er wahrscheinlich ausgeharrt und einfach darauf gehofft, dass alles wieder in ordnung kam, aber er war kein schoßhund. Fips wurde sich mit einem mal über seine bestimmung klar: er war ein wächter und jetzt würde er sich etwas suchen, das zu bewachen sich lohnte.

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain