Über die willkür, den zufall und das schicksal

Sie hat schon einen schweren stand, die willkür. Zusammengesetzt aus wille und kür, wobei letztere nichts anderes bedeutet als entscheidung – willkür als willensentscheid war in der älteren sprache neutral belegt und mag aus meiner sicht auch durchaus als ethisch positiv gelten, zumindest wenn wille das ist, was eine selbstbestimmte person ausmacht. Willkür der herrschaft, seit gut drei jahrhunderten die vorherrschende assoziation, wendet die deutung klar ins moralisch negative. Wir sehen einen herrscher vor uns, der ganz uneinsehbar, nur nach seiner laune regiert, und laune ist hier auch schon der moralisch negative begriff des willens. Die einzige willkür, die noch als vertretbar erscheint, ist die willkür gottes, zumindest, wenn wir gott als ein mit willen und entscheidungskraft ausgestattetes wesen betrachten. Der natur willkür beizumessen ist demnach auch nur dann sinnvoll, wenn wir annehmen, gott offenbare sich in der natur, oder wenn wir gott und natur überhaupt gleichsetzen. Doch gehen wir einen schritt weiter und nehmen uns den moralisch negativen begriff der willkür, den wir in verbindung betrachten mit Laune und uneinsehbarkeit. Sagen wir also: „was willkürlich handelt, handelt – ob einem inneren gesetz zufolge, oder nur der laune nach – immer so, dass der beweggrund uneinsehbar bleibt“, dann unterscheidet sich die willkür vom zufall nur in der beigabe des willens, ist zufall doch in der höheren und vorsichtigen bestimmung nichts weiter als ein x, das für einen möglichen, aber uneinsehbaren zusammenhang steht. Zufall und willkür, selbst als verschieden betrachtet, stehen dem schicksal gegenüber, das für sich doch auch nichts anderes meint, als die selbe uneinsehbarkeit, nur in verbindung mit unabänderlicher sinnhaftigkeit. Schicksal soll heißen: „es konnte nicht anders sein – es war so bestimmt“ und sagt damit: „stelle dies nicht in frage“, was dem heutigen geist so sehr widerspricht. Lautet nun der ältere satz: „gott offenbart sich im schicksal“, so soll nun, wo das schicksal diskreditiert ist, stehen der satz: „gott offenbart sich in der willkür“, oder, wenn wir aus vorsicht dem göttlichen keinen willen beimessen wollen: „gott offenbart sich im zufall.“ Nehmen wir nun aber diese letzte, vorsichtige aussage ernst und geben beiden darin enthaltenen subjekten gleiches gewicht, was bleibt uns dann anderes, als dies anzunehmen: „gott, wenn er einen willen hat, handelt willkürlich, da wir aber nicht wissen können, ob es willkür ist, da wir nicht wissen, ob gott einen willen hat, oder ob er überhaupt existiert und wir aus den selben gründen auch nicht zum schicksal zurückkehren können, ist es der zufall allein, der sich im zufall offenbart“, denn: wir wissen es nicht! Seltsam mag erscheinen, wie gott in diese frage nach der willkür, dem zufall und dem schicksal hineinfand und wie er so einfach wieder daraus verschwand, ohne das bis jetzt ein anderes wesen darin eingang gefunden hätte. Selbst wenn wir dem zufall subjektstatus einräumen ist er doch nichts, was wir ein wesen nennen wollen, denn was wäre nun wieder dies wesen anderes als gott? Schauen wir aber noch einmal genau, so erkennen wir in dem bisher gesagten doch noch zwei weitere wesen, nämlich die natur und uns selbst. Und wenn wir gott verlustig sind, mag uns das wenigstens trösten. Wir haben also die natur und den menschen und mit ihnen die möglichkeit sowohl des schicksals – auch wenn uns diese überholt erscheint – als auch des zufalls und der willkür. Und da uns der mensch immer – selbst im falle des selbst – als der andere begegnet, sagen wir: „die natur und der andere, und mit ihm wir selbst bleiben unergründlich. Ob willkür, zufall, oder schicksal? – wir wissen es nicht!“

(c) meta4

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain