evocation

teil 1: Saidwar – ein könig bricht auf

es will mir nicht recht gelingen einen anfang zu setzen. Sicher ist nur womit es , vielleicht vorläufig, endete.

Manche sagen, sie hätten ihn bereits des nachts durch gänge hüpfen und im mondlicht tanzen sehen als im hellen noch alles mit rechten dingen zuging. Leicht einzusehen, dass sie damit erst herausrückten, als die veränderung offen zu tage trat.

Der Einfachheit halber könnte ich schreiben: Alles begann mit der Botschaft vom Tode seines sohnes auf dem schlachtfeld. In stoischer ruhe hatte er sie hingenommen, ohne ein wort des entsetzens oder bedauerns. Wahr ist aber, dass diese reaktion dem Anschein seines Wesens ganz entsprach und dass auch weiter nichts geschah, was dem eindruck seiner ernsthaftigkeit und geistigen gesundheit widersprochen hätte. Hatte er doch immer schon mit fassung auf die schläge des schicksals geantwortet. War er doch ein mann des verstandes, nicht des herzens, von gerechter härte und niemals aufbrausend. Ging doch das wort von dem könig aus eisen im land.

was sollte man nun davon halten, dass saidwar ulna, unser ehrwürdiger könig, neckisch wurde, dass er den hohen damen die zunge herausstreckte und sich im handstand übte, dass er mehr zeit mit dem hofnarren verbrachte als mit seinen beratern und dass er schließlich seine krone dem narren und sich selbst im tausch die schellenkappe aufsetzte und als narr in die welt ging?

teil 2: Sidhain – besessenheit gibt kraft

Sidhain war verlobt. Er würde heiraten, das wusste er schon seit langer zeit und bald würde es soweit sein, doch, seit einigen tagen ging ihm anderes im schädel herum. Als wäre die welt ein kaleidoskop und etwas hätte daran gedreht.

Sidhain der familienvater, glücklicher gatte einer schönen frau war einer anderen zukunft gewichen. Tausend schritte von seinem strohgedeckten, einstöckigen haus, am rande grüner weide, weiter als sonst von den heimen seiner nachbarn entfernt, schuftet er, gräbt wie toll. Das loch am fuße der felswand ist bereits fünf meter tief, allseits verschalt, zwei meter im durchmesser. Ayleen steht am rande des schachts, ihren oberkörper darüber gebeugt, schaut sie in die tiefe.“sidhain, sag, was tust du?, gräbst du einen brunnen?“ keine antwort, nur die Geräusche von spaten und erde, die in einen halbvollen kübel fällt. „sidhain, sag, deine hühner laufen frei herum, warum hast du ihren stall abgerissen?“ sie wartet, erste regentropfen fallen in ihren nacken und da sidhain nicht mit ihr spricht läuft sie verletzt und erbost nach hause. Der mann gräbt, gräbt den ganzen tag und die halbe nacht, bis er vor erschöpfung am grunde des schachts in einen unruhigen schlaf fällt. Das graben nimmt auch im schlaf kein ende, der traum ist die fortsetzung des tagwerks. Sidhain gräbt, schafft fuhre um fuhre schwarzer, feuchter erde fort, legt einen gang an, der geradenwegs nach norden verläuft, fort von dem haus, unter felswand und wald hindurch bis an sein ziel. Bis der spaten auf fels trifft. Sidhain räumt die letzen brocken erdreich beiseite, und legt die kreisrunde pforte frei. Halbreliefs zeichnen sich ab, die den stein fast vollständig bedecken. Sie stellen eine schlacht dar, zwischen menschen in schwerer rüstung, auf pferden und seltsam tierähnlichen gestalten, die doch auf zwei beinen gehen. Die ganze darstellung beschreibt einen kreis in dem beide parteien je zwei einander gegenüberliegende viertel beherrschen. So ist jede einmal von oben und einmal von unten in den feind verzahnt. Kein schloss, kein riegel, keine klinke ist zu sehen, aber sidhain legt ohne zu zögern eine hand an den oberen rand des zirkels und streicht das ganze rund einmal entlang. Wo eben der zeigefinger entlang gleitet verfärbt sich der stein, von dunklem grau im licht der laterne zu rostrot, rot und dann gelb und weiß in eigenem licht. Der stein beginnt zu glühen ohne hitze auszustrahlen, die krieger bewegen sich, erst langsam, dann schneller. Vor sidhains grauen, nebelruhigen augen entspinnt sich die schlacht aus der abbildung in die wirklichkeit.

teil 3: Hegelion – ein schicksal nimmt seinen lauf

Leichen treiben den strom herab. Die kleine sisa hat es in einem ihrer träume gesehen und cyan davon erzählt, weil sie die priesterin unseres kleinen dorfes ist. Natürlich hat ihr der traum angst gemacht und auch wir sind besorgt da wir nicht glauben, dass es sich um einen normalen traum handelt. Es ist wochen her, dass cyan nachricht an den orden gesandt und ihn gebeten hat, einen paladin zu schicken der das mädchen auf die probe stellen soll. Wenn ihre träume die wahrheit sagen, stehen uns böse zeiten bevor.

Ich bin seit stunden im wald und gehe meiner arbeit nach, doch das wild ist wachsamer als sonst und ich habe bereits eine hand voll pfeile ins unterholz verschossen. Die bäume greifen nach mir und ich schlage ihre arme mit meinem bogen beiseite um mir den rückweg zu bahnen. Als ich die wiese überquere, die den wald von den häusern trennt, höre ich stimmen: „hegelion!“ – sie rufen vom fluss her nach mir. Die beiden fischer stehen am ufer und winken mir aufgeregt zu. Bei ihnen angelangt sehe ich, was sie aufgebracht hat. Drei körper, die sich in den netzen verfangen haben und bereits auf die entfernung ist sichtbar, dass sie nicht ertrunken sind. Wir ziehen die toten an land. Ihre kleidung besteht nur noch aus fetzen und in den leibern klaffen breite wunden von gewaltigen klauen und zähnen, die zu keinem mir bekannten tier passen wollen. Die gesichter zeigen den ausdruck blanken schreckens und offenbaren, dass es sich um bewohner unseres nachbardorfes handelt, der kleinen bergmannssiedlung eine tagesreise von kryn.

Cyan begleitet mich auf dem weg nach norden, obwohl ich es nicht gutheiße. Sie will für eine ordentliche beerdigung sorgen. Ich gebe zu, ich habe angst vor dem was passieren kann und, dass ich meine frau nicht beschützen kann, so nahe an den nebeln die die welt begrenzen. Ich beruhige mich, in dem ich den bogen fester greife und mit einem blick auf heron, der uns ebenfalls begleitet. Der waldmann hat sein gesicht hinter der eisenmaske verborgen und hält seine axt wie ein krieger. Mir hat er immer furcht eingejagt, aber jetzt ist seine abschreckende wirkung ein schild der auch cyan und mich deckt, und die toten die wir dem wagen mit den zwei ochsen aufgeladen haben.

Wir fühlen uns beobachtet, zumindest glaube ich in cyans augen die selbe unruhe zu erkennen die auch mich in beschlag nimmt. Wir sprechen kaum ein wort miteinander und ich versuche angestrengt an dem geräusch des ochsenkarrens vorbeizuhören. Manchmal glaube ich schritte im unterholz ausmachen zu können. Schritte die zu groß für einen menschen sind und doch nur von einem wesen auf zwei beinen stammen können.

Als wir das dorf erreichen liegen seine bewohner tot zwischen den häusern verstreut. Männer und frauen, in stücke gerissen. Cyan übergibt sich und ich ringe um fassung während heron die leichen nacheinander in augenschein nimmt. Er verschwindet zwischen zwei hütten, seine axt zum schlag bereit. Ich selbst lege einen pfeil auf die sehne und achte vor allem darauf, dass nichts an cyan herankommt. Da bemerke ich ein kästchen, das in der mitte des freien platzes steht auf dem wir uns befinden. es ist eine elle lang und eine spanne breit und ebenso hoch. Es wirkt fremdartig, das holz beinahe wie stein und die beschläge sind aus einem metall, das mir unbekannt ist. Später wird mir klar, dass ich in diesem moment alle vorsicht habe fahren lassen. Meine aufmerksamket richtet sich ausschließlich auf das seltsame ding. Es ist mit zeichen geziert, die cyan für schrift halten wird, die sie aber ebenso wenig lesen kann wie ich. Ich denke nicht nach und hebe den deckel an. Was ich darin sehe? Etwas, wie augen, von durchdringendem grün, die matt leuchten wie kerzen im nebel. Und ganz neblig ist auch mein geist als ich mich vor dem geschlossenen kästchen wiederfinde. Das echo einer warnung hallt durch meinen schädel als ich cyan anblicke und in ihren augen den zorn lese, der von schrecken und sorge herrührt.

Heron hat die kinder gefunden, in einer lagergrube. Ihre gesichter sind so bleich und ihre augen so starr und weit aufgerissen, dass ich sie im ersten moment für gespenster halte, aber meine frau ist weiser als ich und spricht gebete die den armen die farbe des lebens zurückgeben. Der bericht des ältesten ist so verworren, das wir uns nur mit mühe ein bild machen können. Die männer haben etwas im berg gefunden und es mit in das dorf gebracht, die truhe die ich geöffnet habe. Der rest besteht aus klauen und fängen die alles zerreißen was sich bewegt, blanke panik und chaos. Nur eine mutter die soviel verstand bewahrt, die fünf kinder in der grube zu verstecken, bevor sie selbst in stücke geschlagen wird und ihr blut über die falltür vergießt.

Es sind zu viele leichen um sie zu begraben, also bringen wir alle in ein haus und zünden es an, nachdem cyan die letzten worte gesprochen hat. Wir entschließen uns die truhe mitzunehmen, sie nicht zu öffnen und sie dem paladin zu geben, der hoffentlich bald nach kryn kommen wird. Wir verbringen die nacht in einer der hütten. Während herons wache habe ich einen traum, von der art wie ich mir die von sisa vorstelle.

teil 4: Aromabar – ein opfer wird gebracht

Ich beobachte mich selbst, wie einen schausteller auf dem jahrmarkt in broxni. Ich bin ein anderer, einem menschen zwar ähnlich, doch mächtiger und in meinen augen erhabener, von dem wissen um eine ahnenreihe erfüllt die bis an die wurzeln der zeit reicht. Ich liege in ketten und werde von meinen brüdern bewacht die ich noch vor wenigen tagen bei der jagd angeführt habe. Ich bin krank, es hat sich meines zentrums bemächtigt und droht es zu vernichten.

In den augen meiner gefährten lese ich mitgefühl und anerkennung, aber ihre wachsamkeit lässt keinen augenblick nach, auf den pfaden der schatten, hinab in die tiefen des gebirges, zu den unterirdischen orten, an denen mein volk lebt, seit es den pakt mit der finsterniss schloss. Aus den kindern des tages wurden die alten der nacht. Drei nächte und halbe tage brauchen wir. Zeit in der mein verfall voranschreitet wie eine todbringende krankheit. Die immer wachsamen schwarzen augen in bleichen gesichtern kehren sich gegen mich, ein eindruck der verfliegt wann immer mein bewusstsein die oberhand gewinnt und mich aus dem mahlstrom des chaos auftauchen lässt, der an meinen gliedern reisst. die pforten sind gut bewacht und unsichtbar, nicht für uns, aber für fremde, und also auch für mich, der ich ein fremder bin, der durch fremde augen schaut. Hinab und tiefer ins dunkel bis auf die sole der schwarzen nacht, wo uns meine sippe zahlreich empfängt. Sie alle kennen mein geschick, neigen ihre häupter in ehrfurcht und sprechen meinen namen, wie eine beschwörung: aromabar. Die menge teilt sich und gibt den weg zu den ältesten frei, die an der stirnseite der halle beisammen stehen. Unser kriegsherr turambar tritt vor und legt mir seine weiße hand auf die stirn. Ein moment, in dem augen in augen, wie tiefe gründe ineinander tauchen. Seine stimme gebietet den schatten und sie geben ihre zwingende kraft her um mich zu binden, und meinen gemarterten geist in das barmherzige dunkel des schlafes zu tauchen, bis wir den gipfel erreichen und sie mich in der mitte des bannkreises anketten. Ich verliere die kontrolle über meine glieder und reisse an den fesseln. Ein zweites bewusstsein steht neben meinem eigenen, zornerfüllt und ungläubig. Ich spüre meinen widerstand brechen und verliere mich ganz. Ich spüre, wie meine teile auseinandertreten, als ihr zentrum sie nicht mehr halten kann. Der dämon tritt an meine stelle und heult vor wut als die drei ältesten mit dem ritual beginnen.

Ich finde mich wieder in der dunkelheit, zitternd und schweißgebadet. Heron sieht zu mir herüber und sagt mir, dass es zeit wird aufzubrechen.

Der paladin erreicht kryn nur einen tag nach unserer eigenen ankunft. Sein name ist vathek, ein massiger krieger mit allen zeichen seiner macht und befugnis, der nicht allein der kleinen sisa wegen zu uns kommt, sondern auch eine nachricht überbringt, die ihren schatten in form von gerüchten bereits vorrausgeworfen hat. Es herrscht krieg und der paladin ruft uns zu den waffen. Doch in diesen tagen, unter dem eindruck der ereignisse der letzten zeit werden nur wenige ihm folgen.

Er berichtet, dass der könig verschollen ist. seit einigen wochen sitzt an seiner statt seine tochter sadessa auf dem thron unseres reiches. Die herzöge des westens haben sich daraufhin unabhängig erklärt und einen eigenen könig gewählt, der wie in alten zeiten von nagarond aus herrscht. Das eine frau das land beherrscht halten sie einer alten prophezeiung nach für das erste zeichen für den weltuntergang.

Im laufe des tages spricht er mit der kleinen und teilt uns bald danach seinen entschluss mit, sie mit sich in den süden nach erengrad zu nehmen. Auch er scheint in ihr eine macht zu vermuten, die gabe, kommende ereignisse im voraus zu sehen. Während er mit uns spricht, spüre ich eine große ruhe und sicherheit von dem mann ausgehen, die mir sagt, dass wir ihm vertrauen können.

Vathek verbringt die nacht in der kleine kapelle. Die truhe ist bei ihm. Ich muss vor dem einschlafen lange an dieses ding denken und an das was ich darin gesehen habe und an den traum den ich danach hatte. Der traum wiederholt sich diese nacht mit der selben eindringlichkeit. Auf seinem höhepunkt fahre ich aus dem schlaf und brauche einige zeit, bevor ich verstehe was cyan mir zu sagen versucht, dass sie mich geweckt hat weil sie kampflärm von der kapelle her hört. Ein wildes fauchen und das klingen von stahl dringen jetzt auch an meine ohren und ich stürme los. Im nachthemd nach meinem bogen greifend bedeute ich cyan im haus zu bleiben, wovon sie nichts wissen will, und folge ihr dann in die nacht hinein. Nur wenige schritte voraus leuchtet cyans kreuz in der dunkelheit in ihrem weißen licht auf und macht sie selbst zu einem schatten zwischen mir und der schwach schimmernden kapelle. Ein zweiter schatten stürzt durch die weit geöffnete pforte auf uns zu, gefolgt von einem blendenden strahl weißen lichtes aus den händen des paladins, der inmitten des gotteshauses steht. Cyan bleibt wie angewurzelt stehen, ihr kreuz vor sich haltend und ich stürme an ihr vorbei und direkt vor sie um sie zu schützen, den bogen mit einem pfeil auf der sehne auf die am boden liegende gestalt gerichtet. Was ich dort sehe ringt mit meinem verstand, sich verästelnde, bewegende konturen einer menschenförmigen finsternis, darin ein bleiches, fast weisses gesicht von morbider schönheit mit gänzlich schwarzen augen. Das gesicht erstarrt zu einer totenmaske und mit ihm die bewegungen des schattenhaften leibes. Mich durchfährt ein eisiger hauch, als ich an den glauben der westreiche denken muss. Was hier vor mir liegt scheint mir allzu sehr ihren geschichten vom teufel, ihrem wahn von der hölle entsprungen zu sein und zugleich wird mir klar, dass es ebenso den wesen aus meinem traum gleicht. Der paladin tritt zu uns und zieht mich mit seinem gebet aus dem bann zurück in die wirklichkeit.

Ich ringe mit mir, seit der letzten nacht. Vathek hat sein zweites pferd mit dem leichnam beladen, die truhe hat er hinter sich selbst am sattel befestigt, sisa sitzt auf dem tier, das ich ihr für die reise gegeben habe. Ein teil von mir will die beiden begleiten, fühlt sich an das schicksal des kleinen mädchens und der truhe gebunden. Aber wie könnte ich das dorf jetzt verlassen und meine liebe cyan? Ich schaue den beiden nach, bis sie den rand des dorfes erreichen und, überlasse sie ihrem pfad.

(c)venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain