Amateur Press Association (APA)

20170523_191742Ich bin nicht erst seit gestern im Untergrund-Geschäft, soll heißen im Fern-ab-vom-Mainstream-Publishing tätig – zehn Jahre werden das bald – und wusste schon, was eine APA ist, nur nicht so genau, wie sie praktisch funktioniert. Der olle H.P. Lovecraft war in einer APA, das hat man schon gehört, und dann „sind das also Leute, die sich gegenseitig Briefe schreiben … hat auch Goethe schon gemacht“ – und so stimmt das alles gar nicht. Hätte ich bei Wikipedia nachgelesen, wäre ich besser informiert gewesen.

„Eine Amateur Press Association oder APA ist ein Zusammenschluss von Autoren und Künstlern, die jeweils für sich alleine produzierte Egozines mehr oder minder regelmäßig in einem Apazine genannten Sammelwerk herausgeben. Die einzelnen Beiträge werden bis zu einem festgelegten Termin bei einem Ordentlichen Herausgeber (engl.: Official Editor, Central Mailer oder Distribution Manager) eingereicht, der sie zu einem einzelnen Heft bindet und dieses dann wieder an die Teilnehmer verteilt. Der Verbleib der Teilnehmer in der APA ist dabei häufig von einer Mindestanzahl eingereichter Seiten abhängig. Diese Minac (von engl.: minimal activity) gilt in der Regel pro Ausgabe des Apazines oder Jahr.
APAs werden häufig als Vorläufer der Internetforen beschrieben. Tatsächlich erfüllen viele APAs die Funktion von Diskussionsforen und waren bis zur Entstehung des Internets eine sehr effektive Methode, um sich in überregionalen Gruppen auszutauschen. Analog zu Internetforen gab und gibt es APAs zu den unterschiedlichsten Themen.
Die ersten APAs entstanden wahrscheinlich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, was sich allerdings nicht mehr genau festlegen lässt. Als älteste bekannte APA wird die am 19. Februar 1876 von Evan Reed Riale und neun Mitstreitern in Philadelphia gegründete National Amateur Press Association (NAPA) angesehen. Ihre Blütezeit erlebten die APAs zwischen 1960 und 1990. Danach ging ihre Zahl durch die Konkurrenz mit den Internetforen stetig zurück.
Eine langlebige, deutschsprachige APA ist die Futurian Amateur News (FAN), eine APA mit Schwerpunkt auf der Diskussion des Themas Science fiction, die mit Unterbrechungen seit den 1960ern aktiv ist. Zu den Apanauten genannten Teilnehmen zählten bereits mehrere (heute) bekannte deutsche Autoren, wie zum Beispiel Hans Joachim Alpers.“ (ganz platt zitiert aus WIKI)

Nun habe ich mal die Gelegenheit, mir ein APAZine aus der Nähe anzusehen, eine genauere Vorstellung zu entwickeln:

FUTURIAN AMATEUR NEWS – SF, Fantasy und der ganze Rest

Das ist echte Old School und so als Kind der 80er, als die Welt noch nicht digital und schon gar nicht web 2.0 war, fühle ich mich gleich heimelig berührt.
Die alte Schule ist ja eigentlich die, die die Gegenwart gestaltet hat, William Gibson z.B. ist genauso alt wie mein Alter Herr. Und die alte Schule wusste sich zu helfen, als es noch kein Internet gab. Helfen wobei? Wozu ist so eine APA gut? Kurze Suche, Treffer:

„Writing is one of the most personally punishing of the professions we could choose. We learn in a vacuum, taught by other people who are also feeling their way along because those “in the know” haven’t a clue on how to tell us what they want without belittling our every effort.
So how do we “preserve” what we do if we cannot get published? When you are ready to look back on your Life’s Work, will it be with an eye to the next winter’s fire, hidden in an attic, or bequeathed to a reluctant relative?
Who will know what you wrote? And what if it’s not that it was “bad” – it was simply not in style when written?“
(zitiert aus: https://zombiesalmonthehorrorcontinues.wordpress.com/…/ama…/)

Das Problem kennt man doch? Also schafft man sich einen Kreis aus Leuten, denen es ähnlich geht und tauscht sich aus. Was dabei entsteht (ein APAZine) ist eine Sammlung aus: Rezensionen, vielleicht mal Stories, Illustrationen, Con-Berichten, Überlegungen, Diskussionsgrundlagen und -beiträgen, am Ende gebündelt, vielleicht mit einem Editorial und so etwas wie einem Impressum versehen.
„Kann man sich alles sparen, und einfach in ein Forum einsteigen“ … oder auch nicht, denn im Prinzip geht im Forum der gestalterische Aspekt komplett verloren. Jedes Mitglied einer APA hat die Freiheit, seinen Beitrag für das APAZine (also sein eigenes EgoZine) nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Was dabei rauskommt, ist vielleicht mal extrem „amateur“, aber vielleicht auch mal auf höherem Niveau (im Sinne von Inhalt und Layout). Ein bisschen Glücksache für den, der das ganze Bündel in die Hände kriegt.
Von dem, was ich in die Hände bekam, bin ich teils angetan, teils auch nicht. Manches ist zu sehr „Insider“ als dass ich viel damit anfangen könnte (Kommentare zu vorigen Ausgaben, Antworten auf Aussagen, die mir verborgen bleiben, Kommentare, die darauf schließen lassen, dass sich die Mitglieder dieser APA schon länger kennen), anderes ist dafür wieder einfach zu verstehen. Manches wiederum ist für mich kaum interessant, anderes schon. Hier und da schwebt so ein Gedanke, dem ich mich anschließen kann, der Fragen aufwirft, die ich beantworten könnte oder über die ich gerne mal nachdenke. Ab und zu stoße ich auch mal auf so ein Ding, wo sich in mir Protest regt („Hallo? Was ist denn das für ein Quatsch? / Kann man so gar nicht behaupten! / Was hat das denn im fantastischen Diskurs verloren?“ usw.)
Hatte ich erst kürzlic andernorts schon über den „Neuer Stern“ (Fanzine, bzw. Rundbrief) gesagt, „man fühlt sich etwas wie im Salon, einem Club, einem vereinsmäßigen Zusammenschluss von Leuten mit ähnlichen Interessen“ (mich selbst frei zitiert), so kann ich das jetzt gerade wiederholen. Im Salon gibt es auch immer Leute, mit denen man einer Meinung ist, Leute, mit denen es funktioniert und Leute, mit denen man sich ständig in den Haaren liegt.

Nun zum Fazit: Ich, Schriftsteller, Underground-Publisher, Aficionado des Fantastischen, bin kein Stammtischtyp und mein Lebtag noch in keinen Verein eingetreten, dafür ist meine innere Anarchie wohl die Hauptverantwortliche. Was ich aber mag, ist das gemeinsame Spinnen von Seemannsgarn und der Austausch über Dinge, die mich bewegen. Wäre das nicht so, ich würde wohl kaum unzählige Stunden in die Herausgabe eines eigenen Low-Profit-Magazins stecken und stattdessen einfach für die Schublade schreiben.
Die Motivation hinter der APA ist mir mehr als verständlich. Tatsächlich bin ich gerührt, dass es sie heute noch gibt und denke: Fantastik findet nicht nur im eigenen Gehirn statt (auch mal nicht nur im Gaming von Konsolenspielen). Fantastik braucht offensichtlich den Zusammenschluss von Köpfen (mehr so „MMPORG …“). Was Lovecraft gemacht hat, gibt es immer noch und so kann das bleiben. Was anachronistisch ist, bestimmen immer noch WIR und die Zukunft wird bunt, wenn wir ältere Verfahren des Kreativen und des Gedankenaustauschs nicht ganz über Bord werfen.
Auf jeden Fall fühle ich mich um etwas bereichert, von dem ich davor noch gar keine richtige Vorstellung hatte.
Danke dafür, Thomas Hofmann.

Thomas Hofmann ist http://deutsche-science-fiction.de/?p=3551 … Herausgeber des Fanzines „Neuer Stern“ und gegenwärtig auch des APAZines Futurian Amateur News, schreibt über Phantastik auf Thomas Hofmanns phantastische Ansichten http://www.scifinet.org/scifinetboard/index.php/blog/64-thomas-hofmanns-phantastische-ansichten/ und ist in der Phantastik-Szene seit vielen Jahren als Illustrator bekannt.

Sláine – Comics in deutscher Erstausgabe

Mit dem Lesen von Comics habe ich erst recht spät angefangen, nach ersten Erkundungen als Kind war ich schon sechzehn, als mir vorausschlaue Freunde den Hinweis gaben, dass dort wahrhaft Phantastisches zu entdecken sei. Was ich ganz obenauf in die Finger bekam, war Sláine von dem britischen Autor Pat Mills. In meiner ersten Story steigt der keltische Krieger aus seinem eigenen Hügelgrab in der irischen Königsstadt Tara und erfährt durch einen christlichen Mönch, dass er sich in einer Zeit viele Jahrhunderte nach seiner eigenen Ära befindet. Im Auftrag der Erdgöttin Danu kämpft Sláine mit Boudicca gegen die römischen Besatzer Englands, später gegen angelsächsische Invasoren um die Schätze Britanniens und als ein Double von Braveheart gegen die normannischen Engländer des Mittelalters. Soweit in etwa, was man bisher in deutscher Übersetzung beim Feest-Verlag erfahren durfte. Das ist aber bei Weitem noch nicht die ganze Geschichte.
Slaine-Band1Der gerade erst neugegründete Dantes Verlag hat nun angekündigt, mit vorläufig neunzehn Bänden (Sláine ist immer noch fortlaufend) die vollständige Reihe seit 1983 im britischen Comic-Magazin 2000 AD erschienener Sláine-Comics herauszubringen. Was für ein Spaß! Da wünsche ich langen Atem und viel Erfolg. Der erste Band bei Dantes, Sláine – Morgendämmerung, erschien in den letzten Tagen. Das ist nun noch nicht die Blüte, die Sláine mit späteren Storylines von Zeichnern wie Bryan Talbot, Glen Fabry, Clint Langley und meinem Favorite Simon Bisley erreicht – dies sind die Wurzeln.
Lange bevor Sláine vorwärts durch die Zeit reist, wandert er als von seinem Stamm ausgestoßener Krieger durch die Welt keltischer Mythen am Ende der letzten Eiszeit, als England, Irland und das europäische Festland noch eine Landmasse bilden.
Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel findet man ein paar irgendwie witzige Einträge zu Sláine:
Alter ego: Sláine Mac Roth
Team affiliations: Tribes of the Earth Goddess
Abilities: Warp-spasm
Nun ist Sláine kein Superheld, Sláine Mac Roth ist einfach nur sein vollständiger Name und sein Stamm, die Sessair, gehören zu den Stämmen der Erdgöttin. Der Warp-Spasm, zu Deutsch Wellenkrampf, ist ein dem Berserken ähnlicher Zustand, in dem die Kraft der Erde selbst durch den keltischen Krieger fließt, ihn physisch monströs verzerrt, in ihm einen Blutrausch auslöst und ihm titanische Kampfkraft verleiht.

Slaine-WarpSpasm
Slaine-SloughFeg

 

 

 

 

 

Seine Gegner in dieser frühen Epoche sind Krieger feindlicher Stämme, vor allem der Drunen, die mit Todesmagie und im Gefolge des verderbten Gottes Slough Feg Verheerung über Land und Leute bringen, Balor vom Bösen Auge und sein aus dem Meer gestiegenes Volk der Fomori, sowie Dämonen aus den abseits der Erde gelegenen El-Welten. Sláine wird später zum Hochkönig gewählt, kämpft um die Einheit aller Stämme und vereinigt die Herrschaft über vier mystische Waffen, die den Stämmen der Erdgöttin gehören. Pat Mills schreibt hier ein Potpourri keltischer Legenden, bedient sich dazu aller möglichen Quellen irischer, britannischer und walisischer Überlieferung und erschafft den keltischen Mythos ganz neu.
Vor allem erinnert Sláine natürlich an Cuchullain, den keltischen Helden aus Ulster, natürlich auch an Conan – Sláines Welt ist eine Sword & Sorcery-Welt, die sich gut mit Robert E. Howards Hyperborea vergleichen lässt. Begleitet wird Sláine von seinem Hofnarren Ukko, dem Zwerg. Der ist letztlich auch Erzähler und Chronist aller Geschehnisse und bricht das heroische Epos mit immer komischer, meist derbe zotiger Parodie.
Die Reihe fügt sich mit ihrer Mischung aus Witz, Gewalt und zwangloser Phantastik nahtlos in den Verbund der Serien von 2000 AD ein – hier sind unter anderen ABC Warriors, Nemesis the Warlock und, am bekanntesten, Judge Dredd zu nennen, für die Pat Mills neben Sláine ebenfalls textete. Etwas abseits vom amerikanischen und dem franko-europäischen Stilgefühl ist Sláine natürlich von britischem Humor geprägt und macht da als Comic auch keine Abstriche gegenüber dem Epischen, das Pat Mills aber ebenfalls meisterhaft in Szene setzt. Anders als es bei langlebigen Serien oft üblich ist, schreibt Mills die Serie seit 1983 mit seltenen Ausnahmen selbst. Sláine kommt somit zumindest literarisch aus einer Hand und bleibt über die Jahrzehnte unverfälscht.
Slaine-HornedGodAuf gleicher Stufe mit anderen Klassikern des Genres ist Sláine schlechthin Die keltische Fantasy-Saga, ohne Konkurrenz. Vor allem mit der grafisch von Simon Bisley umgesetzten Storyline The Horned God (Der Gehörnte Gott) geht Sláine in die Hall of Fame der Fantasy ein. Was hier stark idealisiert beschworen wird, ist der „Keltische Geist“, die Liebe zur Erde, Naturmagie, Akzeptanz des Matriarchats. Mills gelingt es, den dafür nötigen Feinsinn mit maskulinem Barbarentum einer Fantasy der Siebziger Jahre zu verbinden.
Bis die Reihe der Ausgaben von Dantes Verlag zu diesem Höhepunkt gelangt, wird man noch bis zum siebten Band warten müssen. Für mich wird das Neulesen auch der gesamten Serie allerdings von mehr als bloß genre-historischem Interesse sein.

Sláine 1 – Morgendämmerung (Dantes Verlag, 2017)

https://www.dantes-verlag.de/
https://www.2000adonline.com

Die Stadt der tausend Treppen – Robert Jackson Bennett

 

ist ein Fantasy-Roman der Seltsamkeiten.

bennet_treppenSeltsamkeit ist hier zunächst einmal ein Gefühl, das sich vielleicht von Bennetts übrigen Werken herleiten lässt. In deutscher Übersetzung liegen davon zwei Romane vor – Mr. Shivers (Piper, 2011) und Silenus (2012), die ich als Amerikana Fantasy bezeichnen möchte, bzw. nicht ganz passend bei Horror einsortieren muss. Bisher nur im Original kommen The Company Man (Orbit, 2011) und American Elsewhere (2013) hinzu, und dieses Oeuvre trägt durchweg tief eingegrabene Züge der Weird Fiction, also des Seltsamen per Definition. Bennett verbindet in seinem Erstling, wie Michael Perkampus es in seinem Artikel über Mr. Shivers [LINK] formuliert, Stephen Kings Phantastik mit John Steinbecks Sichtweise auf Amerika. In seiner Fantasy-Reihe Die göttlichen Städte sind diese Elemente noch spürbar, aber zu etwas Eigenem gereift, einem Stil und einer Auswahl an Sujets, die Bennetts Besonderheit Gestalt werden lassen.

In der Welt der göttlichen Städte sollten Wunder nicht existieren, denn ihre Götter wurden längst von den Sterblichen niedergeworfen und getötet. Bulikov, die Stadt der Treppen selbst, war einmal eine heilige Stadt und ist heute ein nur noch von Menschen bewohntes Ruinenfeld, in dem Treppen in den leeren Himmel ragen, wo einst die Bauten der Götter thronten und nun nicht mehr sind. Die Bevölkerung ist von diesem Verlust traumatisiert und wird von ihnen verhassten Fremden beherrscht.

Eine Ermittlerin, Shara Thivani, kommt nach Bulikov – wir betreten mit ihr einen Krimi-Plot – in Begleitung ihres Leibwächters Sigrud je Harkvaldsson, eines Barbaren, der uns einen deutlichen Anklang an Epische Fantasy beiträgt. Es gibt Automobile und elektrisches Licht, Feuerwaffen auch – doch Metall ist in dieser Welt rar – und das über die Götter und den zentralen Kontinent siegreiche Imperium des Nordens erinnert in allen Beschreibungen seiner Politik und Expansion mehr an das britische Empire oder Österreich-Ungarn, als an den klassischen Archetypus der Fantasy. Unsere Ermittlerin geht dem Verschwinden eines Wissenschaftlers, ihres Mentors nach und stolpert bald in ein Gespinst aus Legenden und Lügen. An gewissen Orten der Stadt lässt sich, wie sie herausfindet, jenes andere, alte Bulikov betreten, in dem die Bauwerke der Götter noch immer stehen. Die Götter selbst, zumindest manche, scheinen der Vernichtung doch entgangen zu sein und die Menschen dieses kolonialisierten Kontinents könnten ihnen zu neuer Macht verhelfen.

Was sich hier auftut, ist ein Kampf der Moderne gegen das Wunderbare, das nicht totzukriegende Vergangene, an dem die Unterworfenen hängen, als hätten die Götter ihnen jemals Freiheit bedeutet und nicht mit grausamer Hand über sie, wie über alle Menschen, regiert. Der Roman begeht melancholische Pfade der Philosophie, irgendwie ist das Geschehen ein Danach, denn die wirklich epischen Zeiten sind längst vorbei, und doch fehlt es an keiner Stelle an Spannung. Im Finale kommt, gerade mit Leibwächter Sigrud, die Action nicht zu kurz, die wir von heroischer Literatur erwarten. Das Wunderbare selbst trägt oft morbide Züge, ist dann wieder die Magie eines klassischen Fantasy-Romans, doch wir sehen es immer durch die Augen und mit dem wissenschaftlichen Geist Shara Thivanis, sodass seine Bedrohlichkeit als Übernatürliches von der Begeisterung der Forscherin komplementiert wird, ohne an Phantastik zu verlieren.

Die Fortsetzung zeigt uns Voortyashtan, eine andere Stadt des alten Kontinents, in der ebenfalls Hinterlassenschaften der Götter existieren. Wieder entsteigt etwas der Vergangenheit, das die Moderne bedroht. Die Hauptfigur ist hier General Turyin Mulaghesh, eine hartgesottene Soldatin, die in Die Stadt der tausend Treppen bereits eingeführt wurde. Der dritte Teil der Trilogie, gerade im Original erschienen, führt zurück nach Bulikov und zu Sigrud je Harkvaldssons persönlicher Geschichte. Außerdem erweist sich einmal mehr: die Götter sind noch immer im Spiel.

Es fiele mir schwer, die Trilogie einwandfrei einem einzelnen Genre zuzuordnen, allerdings fehlt dadurch nichts, was ich von Genre-Literatur erwarte. Vielmehr kommt ein seltenes Element hinzu, eine befriedigende Andersartigkeit, die Werken von beispielsweise China Mieville oder Jeff VanderMeer zu eigen ist. Der Weltenbau erscheint mir ausbaufähig, der im Hintergrund stehende Mythos noch nicht ganz ergründet. Sollte Bennett jemals in die göttlichen Städte zurückkehren, kann ich mir das nur als Bereicherung vorstellen und als noch junger Schriftsteller der Phantastik ist Bennett ganz sicher einer, den man im Blick behalten sollte. Seine Werke wurden folgerichtig bereits mit zwei Shirley Jackson Awards und einer ganzen Reihe anderer Literatur-Preise ausgezeichnet.

 

Die Stadt der tausend Treppen – die göttlichen Städte 1 (Bastei, 2017) / Fortsetzungen sind bereits angekündigt / Originalveröffentlichung: City of Stairs (Broadway Books, 2014)

http://www.robertjacksonbennett.com

Glen Cook, The Black Company

Es beginnt damit, dass eine Söldnerarmee in den Dienst eines Reichs des Bösen tritt. Unser Erzähler ist der Chronist dieser Schar, der Black Company, und er führt uns im ersten Roman der Reihe episodenweise von einer Mission zur nächsten, die die Söldner für die dunkle Herrscherin, die „Lady“, durchführen.
Black_Company_1_Seelenfaenger-200x304Die Stimmung prägen der lakonische Soldatenton und das regelmäßige Warten bei Kartenspielen, das von immer wieder explosionsartig drein hauender Action unterbrochen wird. Die Magier der Truppe, selbst alles andere als vertrauenswürdige Gestalten, entwickeln bald ein Gespür für die Fehden, die zwischen den Hauptleuten des Imperiums ausgefochten werden. Diese sind allesamt zauberkundige Wesen, die längst, vor Jahrtausenden, alle Menschlichkeit aufgegeben und sich allein dem Kampf um Macht verschworen haben. Die Söldner geraten zwischen ihre Fronten, allmählich, über viele Episoden hinweg, entwickeln sich Plot-Stränge, die erst zum Ende des ersten Romans hin in Richtung einer größeren, umfassenderen Handlung deuten, einer Story, die sich im Fortgang der Serie immer mehr zu einer Woge der Gewaltsamkeit aufbaut und deren Erzähler konsequent von Buch zu Buch wechseln.
Die Armee wechselt die Seiten, kämpft gegen das Reich der Lady. Der dritte Roman begibt sich auf Abwege, ist eigentlich ein Spin-Off, der vierte kehrt zur Armee zurück, die jetzt auf dem Weg nach Süden ist, um ihren eigenen, in Vergessenheit geratenen Ursprung zu finden. Es wird mehr und mehr episch und immer sind die Schurken nicht totzukriegen, kehren wieder und wieder, bis zum Verrücktwerden.
Überwiegend wird die Erzählung von Militärischem bestimmt. Die Schar wächst zur Großmacht heran und schwindet wieder zur Handvoll, kehrt endlich den Spieß um und führt Kampagne nach Kampagne gegen die uralten Mächte. Loyalitäten wechseln wie Winde und selbst aus den wirklich Bösen können Alliierte und irgendwie beinahe Gute werden. Wenigstens ein oder zwei von ihnen entdecken sogar ihre totgeglaubte Menschlichkeit wieder. Größere Horizonte tun sich dabei von Buch zu Buch auf, diese eine Welt ist nicht die einzige, die Bestimmung der Black Company selbst ist in keiner Weise eindimensional.

Zitat: “With the Black Company series Glen Cook single-handedly changed the face of fantasy – something a lot of people didn’t notice and maybe still don’t. He brought the story down to a human level, dispensing with the cliché archetypes of princes, kings, and evil sorcerers. Reading his stuff was like reading Vietnam War fiction on peyote.” – Steven Erikson

Black_Company_2_Todesschatten-200x304Glen Cook schrieb schon in den Siebzigern Fantasy (Dread Empire), legt seit 2005 eine neue Fantasy-Reihe vor (Instrumentalities of the Night), veröffentlichte außerdem zwei SF-Reihen (Starfishers und Darkwar), sowie sieben Einzelromane und die mit neun von vierzehn Bänden auch ins Deutsche übersetzte Reihe Die Rätsel von Karenta (orig. Garrett P.I.), eine humoristische Urban Fantasy mit einem Noire-mäßigen Privatdetektiv als Hauptfigur. Sein Werk durchzieht eine außerordentlich pragmatische Herangehensweise an das Phantastische, an Magie und an übernatürliche Wesenheiten und Götter. In seinen drei epischen Fantasy-Reihen sind letztere immer das Ziel im Sinne von „schieß darauf, bevor es Dich niedermacht“.
Für mein Empfinden ist The Black Company so etwas wie der Italo-Western der Fantasy. Helden gibt es hier wirklich nicht, nur Söldner, die nicht anders können als zu handeln, wenn die Welt durch das Wirken magischer Großmächte unterzugehen droht. Das hier ist nicht der Herr der Ringe oder irgendeine Fantasy-Trilogie mit zögerlichen Protagonisten, das hier ist der pure Ernst, der pure Wahnsinn der Magie, der pure Spaß am Phantastischen.
Es gab einen Ansatz, die Reihe ins Deutsche zu übersetzen, unter dem Titel Die Schwarze Schar wurden 1999 die drei Bücher der ursprünglichen Reihe The Books of the North bei Blanvalet herausgegeben. Dann kam nichts mehr. Zum Glück hat sich nun ein kleinerer Verlag für Rollenspiele, Spielebücher und phantastische Literatur daran begeben, uns über die weiteren Feldzüge der Black Company zu unterrichten. Bei Mantikore sind seit 2016 bereits drei Bände erschienen, ich wünsche dem Verlag und uns allen das Glück, bis zum Ende durchzuhalten. Denn ohne Glen Cook wäre Military Fantasy nicht was sie ist, wäre Steven Eriksons Opus Magnum Das Spiel der Götter wohl nicht was es ist, wäre schließlich Grimdark, wie wir heute das Genre erwachsener, grimmiger, realistischer und doch phantastischer Fantasy nennen, nicht was es ist. Cook legte hier die ersten Steine eines Pfads, der heute mit Joe Abercromby, Anthony Ryan, Mark Lawrence, Luke Scull, Sam Sykes u.v.a. in eine der Zukünfte der epischen Fantasy führt.
Möglich, denn diese Nachricht geht gerade um, ist, dass uns The Black Company demnächst als TV-Serie präsentiert wird. Wird nun Das Lied von Eis und Feuer, bzw. die TV-Serie The Game of Thrones für finster und in ihrem Umgang mit den Protagonisten gnadenlos erklärt, könnte sie darin mit einer Verfilmung des Werks von Glen Cook noch deutlich übertroffen werden.
Black_Company_3_Dunkle_Zeichen-200x304Mehr als darauf werde ich mich freuen, wenn Cook seine Ankündigung wahr macht, trotz einem schon sehr befriedigenden Abschluss der Romanwelt noch zwei weitere Bände schreiben zu wollen. Glen Cook, der nie hauptberuflich Schriftsteller war, ist seit einigen Jahren in Rente, die Black Company darf er für mich nur zu gerne aus dem Ruhestand zurückkehren lassen.

 

 

The Black Company 1 – Seelenfänger (Manticore, 2016) / Originalveröffentlichung: The Black Company (TOR Fantasy, 1984.)

http://mantikoreverlag.de/cook-glen/

Das Spiel der Götter – Ein Liebesbrief

Draw close then

And dry these tears

For I have a story to tell.“

– Fisher kel Tath

Im Mai 2017 erschien mit Tod eines Gottes nach fünfjähriger Pause der fünfzehnte Band der Roman-Reihe Das Spiel der Götter von Steven Erikson – worauf man wohl kaum noch zu hoffen wagte. Anlässlich dieses festlichen Ereignisses folgt hier mein kurzer Erlebnisbericht.Malaz1

Es war 2006 als ein Freund und Dozent an meiner Uni mir ein Geschenk in Form eines Fingerzeigs machte. Er öffnete mir die Pforte zu einer Welt, die ich seitdem geistig wohl nie wieder ganz verlassen habe, die Welt des malazanischen Imperiums.

Ich war zu der Zeit mit meinem Studium beschäftigt, Literatur und Philosophie, hätte in den folgenden Tagen eigentlich an Hausarbeiten schreiben oder wenigstens Lektüre in meinem Fachgebiet betreiben sollen. Stattdessen las ich Die Gärten des Mondes, Band Eins der Reihe Das Spiel der Götter, am Stück und kaum fähig, zwischendurch überhaupt abzusetzen, bis zum Ende durch, gab dann meinem Freund das Buch zurück und sagte: „Das geht gerade nicht, das ist viel zu gut, ich muss mich um mein Studium kümmern!“ Keine Woche später hatte ich mit Band Zwei, Im Reich der Sieben Städte, angefangen.

Wenn man wie ich in diesem Fall spät auf eine Romanreihe stößt, hat man den Vorteil, gleich viel am Stück lesen zu können. Die Gärten des Mondes war 2000 erschienen, nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Originals in den USA, und von 2006 bis 2008 grub ich mich durch zehn Bände eines echten Meisterwerks moderner Fantasy-Schreibung, nach meinem Dafürhalten dem Meisterwerk schlechthin. Mag sein, dass mein Studium darunter etwas gelitten hat.

Dann Begann die Phase des Wartens auf den nächsten Band – und den nächsten – und übernächsten, dann wurde mir das Warten zu lang, ich wechselte zum Original und schloss die Reihe bald darauf ab. Fantasy wird für mich nie wieder nur ein Tummelplatz jugendlich-zögerlicher Helden sein, nie wieder nur aus Elfen, Orks und Zwergen bestehen. Das hat Steven Erikson für mich für immer verändert und mir damit gegeben wonach ich seinerzeit lange gesucht habe: Fantasy für den erwachsenen Leser. Er führt damit eine literarische Tradition fort, als deren Prototyp man wohl eher die in den 1980er Jahren erschienenen Romane der Black Company-Reihe von Glen Cook denn Tolkiens Lord of the Rings ansehen darf und die heute als Grimdark bezeichnet wird.

Auf seinen an die zehntausend Seiten erzählt Das Spiel der Götter die Geschichten buchstäblich hunderter Figuren. Die meisten davon kommen zu einem Abschluss, ohne auf absehbare Weise zu enden. Wir sehen den Aufstieg menschlicher Wesen zum Status von Göttern und ihren Fall, Magie ist ein komplex ausgebautes System, die Geschichte der Welt selbst wird an zahlreichen Schauplätzen erzählt, die über viele Kontinente verteilt sind, und umfasst Jahrhunderttausende und Zeitalter, die unter der Last der ihnen nachfolgenden verschüttet, aber oft noch lebendig sind. Den einen Schurken oder bösen Herrscher gibt es nicht, dafür viele, aber es gibt auch keine Helden im üblichen Sinn. Ob die Figuren Menschen sind oder zu anderen Völkern gehören, sie sind immer auf zutiefst menschliche Weise verständlich, selbst dort, wo sie die Sphäre der Sterblichen längst verlassen haben. Es gibt wirklich keine hundert Seiten in dem Gesamtwerk, die nicht durch die Kraft eines Dutzends fantastischer Ideen und Konzepte pulsieren. Diese Vielschichtigkeit und Unbändigkeit ist es, die mich selbst beim wiederholten Lesen in Staunen versetzt. Tragik, Witz und Weisheit bei unablässiger Spannung und nicht zu wenig Action machen die größten Fantasy-Epen zu dem was sie sind und Das Spiel der Götter vernachlässigt keinen dieser Aspekte.

Es sei erwähnt, dass Erikson Jahre mit der Vorbereitung auf das tatsächliche Schreiben zugebracht und dabei auf sein Fachwissen als Archäologe zurückgegriffen hat, dass ihn bei alldem lange Rollenspielerfahrung den Rücken im Weltenbau und der Führung der Figuren stärkte.

Eriksons Werk ist längst weltweit erfolgreich, wenn es auch anderen Fantasy-Reihen im Grad der Bekanntheit nachsteht. Dass deutsche Leser gar solange auf die letzten Übersetzungen warten mussten – und noch müssen – ist eine ärgerliche Angelegenheit. Der Übersetzer, Tim Straetmann, leistet da aber auch wiederum hervorragende Arbeit. Die Entscheidung für eine konsequente Eindeutschung aller Namen und Begriffe leistet für mein Empfinden eine zusätzliche Verfremdung der erzählten Welt, die den Eindruck, hier in etwas gänzlich Anderem, stets Unerwartetem unterwegs zu sein, nur noch steigert.

Wer seit Jahren auf den nächsten Band der Reihe wartet, kann vielleicht noch einmal von vorne anfangen und wird es wohl nicht bereuen. Für alle, die erst jetzt einsteigen, kann der Zeitpunkt kaum günstiger sein. Euch erwartet hier etwas wirklich Neues. Der Rest der Welt kennt das Ende schon längst, nun ist es auch im deutschsprachigen Raum endlich in Sicht.

Ein einziges Manko der neuen Ausgabe sehe ich in der Wahl des Artworks und der Covergestaltung, da waren mir die früheren Inkarnationen der Reihe deutlich lieber. Dafür haben die neu aufgelegten Bände einen sehr vernünftigen Preis.

Epilog: Steven Erikson hat sein Opus Magnum innerhalb von nur zwölf Jahren veröffentlicht, also beinahe jedes Jahr ein Buch von an die tausend Seiten geschrieben. Nebenbei stieg sein Freund aus Studienzeiten und Mitentwickler der Welt von Malaz, Ian C. Esslemont, 2004 mit eigenen Beiträgen in die Reihe der Veröffentlichungen ein. Auf sein Konto gehen inzwischen sieben Malaz-Romane und der achte ist für Sommer 2017 angekündigt. Erikson wiederum pausierte nicht lange und legte nur ein Jahr nach dem Abschlussband der Hauptreihe schon den ersten Band einer Trilogie vor, die ihr Schlaglicht auf einen der faszinierendsten Ursprungsmythen der Welt von Malaz wirft. Hier liegt seit 2016 bereits der Folgeband vor, noch dazu stammen aus Eriksons Feder sechs veröffentlichte Novellen, die ebenfalls in dieser Welt angesiedelt sind.

Ein Ende nun doch nicht in Sicht? Nein, zu unserem Glück! Tim Straetmann darf noch lange lange weiter übersetzen. Es bleibt zumindest zu hoffen, dass uns die genannten Werke irgendwann ebenfalls in deutscher Fassung präsentiert werden.

(Titelbild: http://malazan.wikia.com/wiki/Siege_of_Pale)

Beiträge auf Phantastikon.de

hier meine Beiträge auf Phantastikon, einem der wenigen deutschsprachigen Online-Magazine, die sich wirklichen allen Facetten des Großraums Fantastik und im Besonderen der Spekulativen Literatur widmen, anstatt sich auf einzelne Genres, Verlagsprogramme oder – wie zumeist üblich – lediglich auf Filmbesprechungen zu beschränken.
Meine Ideenliste für mögliche Folgebeiträge umfasst schon einige interessante Einträge (Besprechungen zu Autoren, Einzelwerken und Phänomenen des Fantastischen, …) – da kommt also sicher noch mehr

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IF #5

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Geheimidentitäten, Masken, Superkräfte. Als erstes deutschsprachiges Literaturmagazin widmet sich IF #5 ganz dem Phänomen literarischer Superhelden. Stories von Christian Weis, Alistair Rennie (BleakWarrior), Marius Kuhle, Markus Kastenholz (Gladium), Nele Sickel, Harald Havas (ASH), Frank Tumele und Tobias Reckermann. Illustrationen von Erik R. Andara (Cover), Münchgesang (Gladium), Peter Mordio und aus der Schmiede von ASH – Austrian Superheroes, außerdem ein ASH-Comic. Interviews mit Weird Fiction-Großmeister Laird Barron und Jörg Buttgereit (Captain Berlin). Zwei Specials lüften Geheimnisse um den White Train und den Magazintitel IF.

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