wer meine arbeit kennt weiß, ich bin als schriftsteller nur mitunter im horrorbereich tätig, auch wenn meine fiktion wohl durchweg dunkel getönt ist … fantasy, sf, sonstige fantastik, all diesen sagt man gerne nach, sie seien eskapistisch, führten den dem alltag nicht gewachsenen geist an orte, an denen er sich baumeln lassen und die argnis seiner realität vergessen kann. nicht dass dies meine meinung darstellt, aber ich habe mir gedanken gemacht, inwiefern das auf horror zutreffen kann. dazu zunächst ein gedanke, den ich selbst hege und auf meinen fiktionautischen reisen jüngst bei tim powers wiedergefunden habe: wir beide mögen unsere fiktion ernsthaft, nicht ironisch. ironie und zynismus sind kneifzangen für die realität, nicht für die fantasie. horror ganz speziell ist etwas, das einem lebensgefühl entspringt. thomas ligotti meint, im zelebrieren des horror bannen wir dieses lebensgefühl (und jeder kennt es!) in die deckel eines buchs, in den rahmen eines films oder gemäldes, eben in die grenzen der fiktion, was uns deshalb befriedigung verschafft, weil er, der horror, uns dort nicht gefährlich werden kann. als lebensgefühl, meine ich, ist horror etwas, dass sich mit der oben genannten kneifzange nicht greifen lässt. horror im griff der ironie ist kein horror, sondern satire und eskapismus ist horror eben nicht. das genre ist vielleicht das ehrlichste, in dem man überhaupt schreiben kann. warum? weil es etwas darstellt, was in der realität so weit verbreitet ist und das lebensgefühl so vieler menschen trifft: ertrunken im mittelmeer, erschossen in paris, verstrahlt in fukushima, zerfetzt in afghanistan, enthauptet in mexiko, gejagt ostdeutschland, verhungert in afrika … wer horror nicht kennt, schaut wohl niemals nachrichten und gehört schon mal auf jeden fall zu der verschwindend kleinen minderheit von menschen, deren privilegiertheit sie vor allen unbilden des ganz alltäglichen daseins schützt. ich lese dieser tage Adam Nevills „No one gets out alive“ – der titel bringt den horror auf den punkt: niemand kommt hier lebend raus (wie J.Morrison schon sagte) – da gibt es keine türen, die nach draußen führen. […] so weit mein stand der erkenntnis. in meinem kopf spuken mehrere horrorstories herum, die erst noch geschrieben werden müssen, für den rest des jahres werden ich die feder wohl aber ruhen lassen, meinem gehirn eine pause schenken. wie irgendein klimaforscher am anfang des jahres meinte: 2015 wird einmal das jahr sein, von dem man sagen wird: „das war das jahr in dem es wirklich begann“. er meinte damit die auswirkungen des klimawandels. ich meine damit den wandel auch des politischen und sozialen klimas. 2016 werde ich wieder horror schreiben, so viel weiß ich schon jetzt.
Tobias Reckermann