Sláine – Comics in deutscher Erstausgabe

Mit dem Lesen von Comics habe ich erst recht spät angefangen, nach ersten Erkundungen als Kind war ich schon sechzehn, als mir vorausschlaue Freunde den Hinweis gaben, dass dort wahrhaft Phantastisches zu entdecken sei. Was ich ganz obenauf in die Finger bekam, war Sláine von dem britischen Autor Pat Mills. In meiner ersten Story steigt der keltische Krieger aus seinem eigenen Hügelgrab in der irischen Königsstadt Tara und erfährt durch einen christlichen Mönch, dass er sich in einer Zeit viele Jahrhunderte nach seiner eigenen Ära befindet. Im Auftrag der Erdgöttin Danu kämpft Sláine mit Boudicca gegen die römischen Besatzer Englands, später gegen angelsächsische Invasoren um die Schätze Britanniens und als ein Double von Braveheart gegen die normannischen Engländer des Mittelalters. Soweit in etwa, was man bisher in deutscher Übersetzung beim Feest-Verlag erfahren durfte. Das ist aber bei Weitem noch nicht die ganze Geschichte.
Slaine-Band1Der gerade erst neugegründete Dantes Verlag hat nun angekündigt, mit vorläufig neunzehn Bänden (Sláine ist immer noch fortlaufend) die vollständige Reihe seit 1983 im britischen Comic-Magazin 2000 AD erschienener Sláine-Comics herauszubringen. Was für ein Spaß! Da wünsche ich langen Atem und viel Erfolg. Der erste Band bei Dantes, Sláine – Morgendämmerung, erschien in den letzten Tagen. Das ist nun noch nicht die Blüte, die Sláine mit späteren Storylines von Zeichnern wie Bryan Talbot, Glen Fabry, Clint Langley und meinem Favorite Simon Bisley erreicht – dies sind die Wurzeln.
Lange bevor Sláine vorwärts durch die Zeit reist, wandert er als von seinem Stamm ausgestoßener Krieger durch die Welt keltischer Mythen am Ende der letzten Eiszeit, als England, Irland und das europäische Festland noch eine Landmasse bilden.
Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel findet man ein paar irgendwie witzige Einträge zu Sláine:
Alter ego: Sláine Mac Roth
Team affiliations: Tribes of the Earth Goddess
Abilities: Warp-spasm
Nun ist Sláine kein Superheld, Sláine Mac Roth ist einfach nur sein vollständiger Name und sein Stamm, die Sessair, gehören zu den Stämmen der Erdgöttin. Der Warp-Spasm, zu Deutsch Wellenkrampf, ist ein dem Berserken ähnlicher Zustand, in dem die Kraft der Erde selbst durch den keltischen Krieger fließt, ihn physisch monströs verzerrt, in ihm einen Blutrausch auslöst und ihm titanische Kampfkraft verleiht.

Slaine-WarpSpasm
Slaine-SloughFeg

 

 

 

 

 

Seine Gegner in dieser frühen Epoche sind Krieger feindlicher Stämme, vor allem der Drunen, die mit Todesmagie und im Gefolge des verderbten Gottes Slough Feg Verheerung über Land und Leute bringen, Balor vom Bösen Auge und sein aus dem Meer gestiegenes Volk der Fomori, sowie Dämonen aus den abseits der Erde gelegenen El-Welten. Sláine wird später zum Hochkönig gewählt, kämpft um die Einheit aller Stämme und vereinigt die Herrschaft über vier mystische Waffen, die den Stämmen der Erdgöttin gehören. Pat Mills schreibt hier ein Potpourri keltischer Legenden, bedient sich dazu aller möglichen Quellen irischer, britannischer und walisischer Überlieferung und erschafft den keltischen Mythos ganz neu.
Vor allem erinnert Sláine natürlich an Cuchullain, den keltischen Helden aus Ulster, natürlich auch an Conan – Sláines Welt ist eine Sword & Sorcery-Welt, die sich gut mit Robert E. Howards Hyperborea vergleichen lässt. Begleitet wird Sláine von seinem Hofnarren Ukko, dem Zwerg. Der ist letztlich auch Erzähler und Chronist aller Geschehnisse und bricht das heroische Epos mit immer komischer, meist derbe zotiger Parodie.
Die Reihe fügt sich mit ihrer Mischung aus Witz, Gewalt und zwangloser Phantastik nahtlos in den Verbund der Serien von 2000 AD ein – hier sind unter anderen ABC Warriors, Nemesis the Warlock und, am bekanntesten, Judge Dredd zu nennen, für die Pat Mills neben Sláine ebenfalls textete. Etwas abseits vom amerikanischen und dem franko-europäischen Stilgefühl ist Sláine natürlich von britischem Humor geprägt und macht da als Comic auch keine Abstriche gegenüber dem Epischen, das Pat Mills aber ebenfalls meisterhaft in Szene setzt. Anders als es bei langlebigen Serien oft üblich ist, schreibt Mills die Serie seit 1983 mit seltenen Ausnahmen selbst. Sláine kommt somit zumindest literarisch aus einer Hand und bleibt über die Jahrzehnte unverfälscht.
Slaine-HornedGodAuf gleicher Stufe mit anderen Klassikern des Genres ist Sláine schlechthin Die keltische Fantasy-Saga, ohne Konkurrenz. Vor allem mit der grafisch von Simon Bisley umgesetzten Storyline The Horned God (Der Gehörnte Gott) geht Sláine in die Hall of Fame der Fantasy ein. Was hier stark idealisiert beschworen wird, ist der „Keltische Geist“, die Liebe zur Erde, Naturmagie, Akzeptanz des Matriarchats. Mills gelingt es, den dafür nötigen Feinsinn mit maskulinem Barbarentum einer Fantasy der Siebziger Jahre zu verbinden.
Bis die Reihe der Ausgaben von Dantes Verlag zu diesem Höhepunkt gelangt, wird man noch bis zum siebten Band warten müssen. Für mich wird das Neulesen auch der gesamten Serie allerdings von mehr als bloß genre-historischem Interesse sein.

Sláine 1 – Morgendämmerung (Dantes Verlag, 2017)

https://www.dantes-verlag.de/
https://www.2000adonline.com

Die Stadt der tausend Treppen – Robert Jackson Bennett

 

ist ein Fantasy-Roman der Seltsamkeiten.

bennet_treppenSeltsamkeit ist hier zunächst einmal ein Gefühl, das sich vielleicht von Bennetts übrigen Werken herleiten lässt. In deutscher Übersetzung liegen davon zwei Romane vor – Mr. Shivers (Piper, 2011) und Silenus (2012), die ich als Amerikana Fantasy bezeichnen möchte, bzw. nicht ganz passend bei Horror einsortieren muss. Bisher nur im Original kommen The Company Man (Orbit, 2011) und American Elsewhere (2013) hinzu, und dieses Oeuvre trägt durchweg tief eingegrabene Züge der Weird Fiction, also des Seltsamen per Definition. Bennett verbindet in seinem Erstling, wie Michael Perkampus es in seinem Artikel über Mr. Shivers [LINK] formuliert, Stephen Kings Phantastik mit John Steinbecks Sichtweise auf Amerika. In seiner Fantasy-Reihe Die göttlichen Städte sind diese Elemente noch spürbar, aber zu etwas Eigenem gereift, einem Stil und einer Auswahl an Sujets, die Bennetts Besonderheit Gestalt werden lassen.

In der Welt der göttlichen Städte sollten Wunder nicht existieren, denn ihre Götter wurden längst von den Sterblichen niedergeworfen und getötet. Bulikov, die Stadt der Treppen selbst, war einmal eine heilige Stadt und ist heute ein nur noch von Menschen bewohntes Ruinenfeld, in dem Treppen in den leeren Himmel ragen, wo einst die Bauten der Götter thronten und nun nicht mehr sind. Die Bevölkerung ist von diesem Verlust traumatisiert und wird von ihnen verhassten Fremden beherrscht.

Eine Ermittlerin, Shara Thivani, kommt nach Bulikov – wir betreten mit ihr einen Krimi-Plot – in Begleitung ihres Leibwächters Sigrud je Harkvaldsson, eines Barbaren, der uns einen deutlichen Anklang an Epische Fantasy beiträgt. Es gibt Automobile und elektrisches Licht, Feuerwaffen auch – doch Metall ist in dieser Welt rar – und das über die Götter und den zentralen Kontinent siegreiche Imperium des Nordens erinnert in allen Beschreibungen seiner Politik und Expansion mehr an das britische Empire oder Österreich-Ungarn, als an den klassischen Archetypus der Fantasy. Unsere Ermittlerin geht dem Verschwinden eines Wissenschaftlers, ihres Mentors nach und stolpert bald in ein Gespinst aus Legenden und Lügen. An gewissen Orten der Stadt lässt sich, wie sie herausfindet, jenes andere, alte Bulikov betreten, in dem die Bauwerke der Götter noch immer stehen. Die Götter selbst, zumindest manche, scheinen der Vernichtung doch entgangen zu sein und die Menschen dieses kolonialisierten Kontinents könnten ihnen zu neuer Macht verhelfen.

Was sich hier auftut, ist ein Kampf der Moderne gegen das Wunderbare, das nicht totzukriegende Vergangene, an dem die Unterworfenen hängen, als hätten die Götter ihnen jemals Freiheit bedeutet und nicht mit grausamer Hand über sie, wie über alle Menschen, regiert. Der Roman begeht melancholische Pfade der Philosophie, irgendwie ist das Geschehen ein Danach, denn die wirklich epischen Zeiten sind längst vorbei, und doch fehlt es an keiner Stelle an Spannung. Im Finale kommt, gerade mit Leibwächter Sigrud, die Action nicht zu kurz, die wir von heroischer Literatur erwarten. Das Wunderbare selbst trägt oft morbide Züge, ist dann wieder die Magie eines klassischen Fantasy-Romans, doch wir sehen es immer durch die Augen und mit dem wissenschaftlichen Geist Shara Thivanis, sodass seine Bedrohlichkeit als Übernatürliches von der Begeisterung der Forscherin komplementiert wird, ohne an Phantastik zu verlieren.

Die Fortsetzung zeigt uns Voortyashtan, eine andere Stadt des alten Kontinents, in der ebenfalls Hinterlassenschaften der Götter existieren. Wieder entsteigt etwas der Vergangenheit, das die Moderne bedroht. Die Hauptfigur ist hier General Turyin Mulaghesh, eine hartgesottene Soldatin, die in Die Stadt der tausend Treppen bereits eingeführt wurde. Der dritte Teil der Trilogie, gerade im Original erschienen, führt zurück nach Bulikov und zu Sigrud je Harkvaldssons persönlicher Geschichte. Außerdem erweist sich einmal mehr: die Götter sind noch immer im Spiel.

Es fiele mir schwer, die Trilogie einwandfrei einem einzelnen Genre zuzuordnen, allerdings fehlt dadurch nichts, was ich von Genre-Literatur erwarte. Vielmehr kommt ein seltenes Element hinzu, eine befriedigende Andersartigkeit, die Werken von beispielsweise China Mieville oder Jeff VanderMeer zu eigen ist. Der Weltenbau erscheint mir ausbaufähig, der im Hintergrund stehende Mythos noch nicht ganz ergründet. Sollte Bennett jemals in die göttlichen Städte zurückkehren, kann ich mir das nur als Bereicherung vorstellen und als noch junger Schriftsteller der Phantastik ist Bennett ganz sicher einer, den man im Blick behalten sollte. Seine Werke wurden folgerichtig bereits mit zwei Shirley Jackson Awards und einer ganzen Reihe anderer Literatur-Preise ausgezeichnet.

 

Die Stadt der tausend Treppen – die göttlichen Städte 1 (Bastei, 2017) / Fortsetzungen sind bereits angekündigt / Originalveröffentlichung: City of Stairs (Broadway Books, 2014)

http://www.robertjacksonbennett.com

Glen Cook, The Black Company

Es beginnt damit, dass eine Söldnerarmee in den Dienst eines Reichs des Bösen tritt. Unser Erzähler ist der Chronist dieser Schar, der Black Company, und er führt uns im ersten Roman der Reihe episodenweise von einer Mission zur nächsten, die die Söldner für die dunkle Herrscherin, die „Lady“, durchführen.
Black_Company_1_Seelenfaenger-200x304Die Stimmung prägen der lakonische Soldatenton und das regelmäßige Warten bei Kartenspielen, das von immer wieder explosionsartig drein hauender Action unterbrochen wird. Die Magier der Truppe, selbst alles andere als vertrauenswürdige Gestalten, entwickeln bald ein Gespür für die Fehden, die zwischen den Hauptleuten des Imperiums ausgefochten werden. Diese sind allesamt zauberkundige Wesen, die längst, vor Jahrtausenden, alle Menschlichkeit aufgegeben und sich allein dem Kampf um Macht verschworen haben. Die Söldner geraten zwischen ihre Fronten, allmählich, über viele Episoden hinweg, entwickeln sich Plot-Stränge, die erst zum Ende des ersten Romans hin in Richtung einer größeren, umfassenderen Handlung deuten, einer Story, die sich im Fortgang der Serie immer mehr zu einer Woge der Gewaltsamkeit aufbaut und deren Erzähler konsequent von Buch zu Buch wechseln.
Die Armee wechselt die Seiten, kämpft gegen das Reich der Lady. Der dritte Roman begibt sich auf Abwege, ist eigentlich ein Spin-Off, der vierte kehrt zur Armee zurück, die jetzt auf dem Weg nach Süden ist, um ihren eigenen, in Vergessenheit geratenen Ursprung zu finden. Es wird mehr und mehr episch und immer sind die Schurken nicht totzukriegen, kehren wieder und wieder, bis zum Verrücktwerden.
Überwiegend wird die Erzählung von Militärischem bestimmt. Die Schar wächst zur Großmacht heran und schwindet wieder zur Handvoll, kehrt endlich den Spieß um und führt Kampagne nach Kampagne gegen die uralten Mächte. Loyalitäten wechseln wie Winde und selbst aus den wirklich Bösen können Alliierte und irgendwie beinahe Gute werden. Wenigstens ein oder zwei von ihnen entdecken sogar ihre totgeglaubte Menschlichkeit wieder. Größere Horizonte tun sich dabei von Buch zu Buch auf, diese eine Welt ist nicht die einzige, die Bestimmung der Black Company selbst ist in keiner Weise eindimensional.

Zitat: “With the Black Company series Glen Cook single-handedly changed the face of fantasy – something a lot of people didn’t notice and maybe still don’t. He brought the story down to a human level, dispensing with the cliché archetypes of princes, kings, and evil sorcerers. Reading his stuff was like reading Vietnam War fiction on peyote.” – Steven Erikson

Black_Company_2_Todesschatten-200x304Glen Cook schrieb schon in den Siebzigern Fantasy (Dread Empire), legt seit 2005 eine neue Fantasy-Reihe vor (Instrumentalities of the Night), veröffentlichte außerdem zwei SF-Reihen (Starfishers und Darkwar), sowie sieben Einzelromane und die mit neun von vierzehn Bänden auch ins Deutsche übersetzte Reihe Die Rätsel von Karenta (orig. Garrett P.I.), eine humoristische Urban Fantasy mit einem Noire-mäßigen Privatdetektiv als Hauptfigur. Sein Werk durchzieht eine außerordentlich pragmatische Herangehensweise an das Phantastische, an Magie und an übernatürliche Wesenheiten und Götter. In seinen drei epischen Fantasy-Reihen sind letztere immer das Ziel im Sinne von „schieß darauf, bevor es Dich niedermacht“.
Für mein Empfinden ist The Black Company so etwas wie der Italo-Western der Fantasy. Helden gibt es hier wirklich nicht, nur Söldner, die nicht anders können als zu handeln, wenn die Welt durch das Wirken magischer Großmächte unterzugehen droht. Das hier ist nicht der Herr der Ringe oder irgendeine Fantasy-Trilogie mit zögerlichen Protagonisten, das hier ist der pure Ernst, der pure Wahnsinn der Magie, der pure Spaß am Phantastischen.
Es gab einen Ansatz, die Reihe ins Deutsche zu übersetzen, unter dem Titel Die Schwarze Schar wurden 1999 die drei Bücher der ursprünglichen Reihe The Books of the North bei Blanvalet herausgegeben. Dann kam nichts mehr. Zum Glück hat sich nun ein kleinerer Verlag für Rollenspiele, Spielebücher und phantastische Literatur daran begeben, uns über die weiteren Feldzüge der Black Company zu unterrichten. Bei Mantikore sind seit 2016 bereits drei Bände erschienen, ich wünsche dem Verlag und uns allen das Glück, bis zum Ende durchzuhalten. Denn ohne Glen Cook wäre Military Fantasy nicht was sie ist, wäre Steven Eriksons Opus Magnum Das Spiel der Götter wohl nicht was es ist, wäre schließlich Grimdark, wie wir heute das Genre erwachsener, grimmiger, realistischer und doch phantastischer Fantasy nennen, nicht was es ist. Cook legte hier die ersten Steine eines Pfads, der heute mit Joe Abercromby, Anthony Ryan, Mark Lawrence, Luke Scull, Sam Sykes u.v.a. in eine der Zukünfte der epischen Fantasy führt.
Möglich, denn diese Nachricht geht gerade um, ist, dass uns The Black Company demnächst als TV-Serie präsentiert wird. Wird nun Das Lied von Eis und Feuer, bzw. die TV-Serie The Game of Thrones für finster und in ihrem Umgang mit den Protagonisten gnadenlos erklärt, könnte sie darin mit einer Verfilmung des Werks von Glen Cook noch deutlich übertroffen werden.
Black_Company_3_Dunkle_Zeichen-200x304Mehr als darauf werde ich mich freuen, wenn Cook seine Ankündigung wahr macht, trotz einem schon sehr befriedigenden Abschluss der Romanwelt noch zwei weitere Bände schreiben zu wollen. Glen Cook, der nie hauptberuflich Schriftsteller war, ist seit einigen Jahren in Rente, die Black Company darf er für mich nur zu gerne aus dem Ruhestand zurückkehren lassen.

 

 

The Black Company 1 – Seelenfänger (Manticore, 2016) / Originalveröffentlichung: The Black Company (TOR Fantasy, 1984.)

http://mantikoreverlag.de/cook-glen/

Das Spiel der Götter – Ein Liebesbrief

Draw close then

And dry these tears

For I have a story to tell.“

– Fisher kel Tath

Im Mai 2017 erschien mit Tod eines Gottes nach fünfjähriger Pause der fünfzehnte Band der Roman-Reihe Das Spiel der Götter von Steven Erikson – worauf man wohl kaum noch zu hoffen wagte. Anlässlich dieses festlichen Ereignisses folgt hier mein kurzer Erlebnisbericht.Malaz1

Es war 2006 als ein Freund und Dozent an meiner Uni mir ein Geschenk in Form eines Fingerzeigs machte. Er öffnete mir die Pforte zu einer Welt, die ich seitdem geistig wohl nie wieder ganz verlassen habe, die Welt des malazanischen Imperiums.

Ich war zu der Zeit mit meinem Studium beschäftigt, Literatur und Philosophie, hätte in den folgenden Tagen eigentlich an Hausarbeiten schreiben oder wenigstens Lektüre in meinem Fachgebiet betreiben sollen. Stattdessen las ich Die Gärten des Mondes, Band Eins der Reihe Das Spiel der Götter, am Stück und kaum fähig, zwischendurch überhaupt abzusetzen, bis zum Ende durch, gab dann meinem Freund das Buch zurück und sagte: „Das geht gerade nicht, das ist viel zu gut, ich muss mich um mein Studium kümmern!“ Keine Woche später hatte ich mit Band Zwei, Im Reich der Sieben Städte, angefangen.

Wenn man wie ich in diesem Fall spät auf eine Romanreihe stößt, hat man den Vorteil, gleich viel am Stück lesen zu können. Die Gärten des Mondes war 2000 erschienen, nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Originals in den USA, und von 2006 bis 2008 grub ich mich durch zehn Bände eines echten Meisterwerks moderner Fantasy-Schreibung, nach meinem Dafürhalten dem Meisterwerk schlechthin. Mag sein, dass mein Studium darunter etwas gelitten hat.

Dann Begann die Phase des Wartens auf den nächsten Band – und den nächsten – und übernächsten, dann wurde mir das Warten zu lang, ich wechselte zum Original und schloss die Reihe bald darauf ab. Fantasy wird für mich nie wieder nur ein Tummelplatz jugendlich-zögerlicher Helden sein, nie wieder nur aus Elfen, Orks und Zwergen bestehen. Das hat Steven Erikson für mich für immer verändert und mir damit gegeben wonach ich seinerzeit lange gesucht habe: Fantasy für den erwachsenen Leser. Er führt damit eine literarische Tradition fort, als deren Prototyp man wohl eher die in den 1980er Jahren erschienenen Romane der Black Company-Reihe von Glen Cook denn Tolkiens Lord of the Rings ansehen darf und die heute als Grimdark bezeichnet wird.

Auf seinen an die zehntausend Seiten erzählt Das Spiel der Götter die Geschichten buchstäblich hunderter Figuren. Die meisten davon kommen zu einem Abschluss, ohne auf absehbare Weise zu enden. Wir sehen den Aufstieg menschlicher Wesen zum Status von Göttern und ihren Fall, Magie ist ein komplex ausgebautes System, die Geschichte der Welt selbst wird an zahlreichen Schauplätzen erzählt, die über viele Kontinente verteilt sind, und umfasst Jahrhunderttausende und Zeitalter, die unter der Last der ihnen nachfolgenden verschüttet, aber oft noch lebendig sind. Den einen Schurken oder bösen Herrscher gibt es nicht, dafür viele, aber es gibt auch keine Helden im üblichen Sinn. Ob die Figuren Menschen sind oder zu anderen Völkern gehören, sie sind immer auf zutiefst menschliche Weise verständlich, selbst dort, wo sie die Sphäre der Sterblichen längst verlassen haben. Es gibt wirklich keine hundert Seiten in dem Gesamtwerk, die nicht durch die Kraft eines Dutzends fantastischer Ideen und Konzepte pulsieren. Diese Vielschichtigkeit und Unbändigkeit ist es, die mich selbst beim wiederholten Lesen in Staunen versetzt. Tragik, Witz und Weisheit bei unablässiger Spannung und nicht zu wenig Action machen die größten Fantasy-Epen zu dem was sie sind und Das Spiel der Götter vernachlässigt keinen dieser Aspekte.

Es sei erwähnt, dass Erikson Jahre mit der Vorbereitung auf das tatsächliche Schreiben zugebracht und dabei auf sein Fachwissen als Archäologe zurückgegriffen hat, dass ihn bei alldem lange Rollenspielerfahrung den Rücken im Weltenbau und der Führung der Figuren stärkte.

Eriksons Werk ist längst weltweit erfolgreich, wenn es auch anderen Fantasy-Reihen im Grad der Bekanntheit nachsteht. Dass deutsche Leser gar solange auf die letzten Übersetzungen warten mussten – und noch müssen – ist eine ärgerliche Angelegenheit. Der Übersetzer, Tim Straetmann, leistet da aber auch wiederum hervorragende Arbeit. Die Entscheidung für eine konsequente Eindeutschung aller Namen und Begriffe leistet für mein Empfinden eine zusätzliche Verfremdung der erzählten Welt, die den Eindruck, hier in etwas gänzlich Anderem, stets Unerwartetem unterwegs zu sein, nur noch steigert.

Wer seit Jahren auf den nächsten Band der Reihe wartet, kann vielleicht noch einmal von vorne anfangen und wird es wohl nicht bereuen. Für alle, die erst jetzt einsteigen, kann der Zeitpunkt kaum günstiger sein. Euch erwartet hier etwas wirklich Neues. Der Rest der Welt kennt das Ende schon längst, nun ist es auch im deutschsprachigen Raum endlich in Sicht.

Ein einziges Manko der neuen Ausgabe sehe ich in der Wahl des Artworks und der Covergestaltung, da waren mir die früheren Inkarnationen der Reihe deutlich lieber. Dafür haben die neu aufgelegten Bände einen sehr vernünftigen Preis.

Epilog: Steven Erikson hat sein Opus Magnum innerhalb von nur zwölf Jahren veröffentlicht, also beinahe jedes Jahr ein Buch von an die tausend Seiten geschrieben. Nebenbei stieg sein Freund aus Studienzeiten und Mitentwickler der Welt von Malaz, Ian C. Esslemont, 2004 mit eigenen Beiträgen in die Reihe der Veröffentlichungen ein. Auf sein Konto gehen inzwischen sieben Malaz-Romane und der achte ist für Sommer 2017 angekündigt. Erikson wiederum pausierte nicht lange und legte nur ein Jahr nach dem Abschlussband der Hauptreihe schon den ersten Band einer Trilogie vor, die ihr Schlaglicht auf einen der faszinierendsten Ursprungsmythen der Welt von Malaz wirft. Hier liegt seit 2016 bereits der Folgeband vor, noch dazu stammen aus Eriksons Feder sechs veröffentlichte Novellen, die ebenfalls in dieser Welt angesiedelt sind.

Ein Ende nun doch nicht in Sicht? Nein, zu unserem Glück! Tim Straetmann darf noch lange lange weiter übersetzen. Es bleibt zumindest zu hoffen, dass uns die genannten Werke irgendwann ebenfalls in deutscher Fassung präsentiert werden.

(Titelbild: http://malazan.wikia.com/wiki/Siege_of_Pale)

Beiträge auf Phantastikon.de

hier meine Beiträge auf Phantastikon, einem der wenigen deutschsprachigen Online-Magazine, die sich wirklichen allen Facetten des Großraums Fantastik und im Besonderen der Spekulativen Literatur widmen, anstatt sich auf einzelne Genres, Verlagsprogramme oder – wie zumeist üblich – lediglich auf Filmbesprechungen zu beschränken.
Meine Ideenliste für mögliche Folgebeiträge umfasst schon einige interessante Einträge (Besprechungen zu Autoren, Einzelwerken und Phänomenen des Fantastischen, …) – da kommt also sicher noch mehr

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IF #5

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Geheimidentitäten, Masken, Superkräfte. Als erstes deutschsprachiges Literaturmagazin widmet sich IF #5 ganz dem Phänomen literarischer Superhelden. Stories von Christian Weis, Alistair Rennie (BleakWarrior), Marius Kuhle, Markus Kastenholz (Gladium), Nele Sickel, Harald Havas (ASH), Frank Tumele und Tobias Reckermann. Illustrationen von Erik R. Andara (Cover), Münchgesang (Gladium), Peter Mordio und aus der Schmiede von ASH – Austrian Superheroes, außerdem ein ASH-Comic. Interviews mit Weird Fiction-Großmeister Laird Barron und Jörg Buttgereit (Captain Berlin). Zwei Specials lüften Geheimnisse um den White Train und den Magazintitel IF.

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The White Train Endeavour

Since we recently published part of Alistair Rennie’s BleakWarrior plus an essay by and an interview with him, he asked us to tell some artsy half lies about our endeavour to his blog’s audience. Humbly we accepted, hence the following words:

There is an infinite rail,
spanning all of the universe.
The Train is on the track
and the track is made of tale.

– so says Dylan’s Song of the Manifold

WhiteTrain is a small press endeavour, born out of a loose writer’s and illustrator’s collective in 2010. At home in all fields of fantastic literature and recurrently grazing philosophy, WT organizes public readings with a slope to scenic enactment and publishes the fiction magazine “IF”, alongside novels and story collections.

Why we do what we do

What do we do?

1. WT celebrates radical fictionalism. That is because there is nothing but fiction. We love the word. We love tales. We are fictionauts.

2. We reject rule of ideology over art. That is because we are literal anarchists.

3. We do publish our own works of fiction and illustration among that of others. That is because we work the fringe and in our prime language, which is German, there are few publishers on the fringe.

4. Even though our work as publishers concentrates on works in German language, we also publish articles, interviews and more in English. That is because we pierced this barrier long ago.

5. We advertise, mostly for free. Yes, we advertise books and publishers, art and artists and projects that we think are worthy to advertise – independents and such enterprises who publish from the backlist, books long out of print and so on. That is, because there are others quite like us, who we like to support and because we know that many of the best books have already been written and should not be forgotten.

6. We publish “IF – Magazin für angewandte Fantastik” (which translates best into “… for the applied fantastic”). IF is a strange pulp thing, thrusting its quill, which is also a javelin, into every matter of fantastic genres, subverting clichés, aiming for the big scope of relevance, not triviality.

Applied is the fantastic mainly in stories and illustrations, but also in every form of imagination, that gives form to the unformed imagination, that is a true virtue of the pure mind. Therefore IF is open for near to every form of text or graphic content, that deals with the previously unformulated, be it social Utopias, architecture, music, metaphysics or civil disobedience.

7. We took the White Train for a sigil. That is because … well there is no short answer to this question.

It is true that there once was a White Train, which also has been called the Armageddon Train, for it did transport nuclear weapons throughout the United States of A. It is also true that Lucius Shepard once wrote a poem called White Trains, which foreshadowed our coming into existence without us even knowing about.

It is true, there have been Black Trains mentioned in works by Grant Morrison, Neal Gaiman and others. All of these carried their passengers to detention camps and were run by evil government officials. This may seem as a derivation of the Black Helicopter myth held alive for a long period of time now by the overseas militia movement, until at last and most oddly it became true. It is all the more true that Woody Guthrie once wrote a song, titled Little Black Train, and that black trains often have been used as a symbol for death. Hence we chose our White Train as a symbol for life and for freedom of art.

WT is an underground train slipping through the holes within its own rail network of flaring synapses, thus piercing the unknown in unforeseen ways. WT carries its passengers to Utopia, but notice: It does so whether their topia it is a good topia or not. That is because after all, truth is a manifold thing.

8. We wrote a manifesto in the form of a tale. That is because story mode is the only mode that can make White Train real. This manifesto even has been translated into English, but said translation still awaits its exact location in spacetime for publication to be revealed.

9. We shape ourselves as seemingly mythic figures. That is because myth is all this is about and we like to live in a dream.

10. We believe WT to be open for everyone decent to come aboard. That is because as yet many decent people have already done so and all have called WT a most gentle being. So, if you like – or need – to step off the station platform, you can do so at any time. Either your work shall be published by us, or you will like to delve into our fiction. Just use one of the portholes we installed in the spiders web: www.whitetrain.de / WhiteTrain on Facebook / furthermore all our books and the magazine, available most easily on amazon.de)

For Alistair Rennie’s contibutions to IF Magazin, check out issue #4, which is all about Sword & Sorcery and has been illustrated magnificently. Rennie’s essay and interview are presented in the original English versions.

After all is said, goodbye.

Author: Tobias Reckermann, WhiteTrain operator, 2016.

originally posted on fellow writer Alistair Rennie’s blog: http://alistairrennie.com