totem frost

Der winter kam zurück. Ich floh durch einen graben, gefrierenden schlamm, trocknendes blut und stacheldraht, der rote worte in meine haut schrieb. Der Frost folgte mir und mit ihm die bluthunde des kalten zauberers. ihr geheul im rücken und das des windes über mir kroch ich aus der einen todesader über aufgeplatzte erde an einem krater entlang in den nächsten graben. Die toten hier waren unverletzt, kein blut zeugte von wunden, nur ihre gesichter waren blau von dem bösen zauber, den sie eingeatmet hatten. Sie saßen und lagen dort wie schlafend, in erwartung ihres erwachens, hielten ihre waffen noch fest im griff und würden sie gewiss nicht hergeben. Ich riss mir den blutigen mantel vom leib, rollte mich auf den rücken und warf ihn hinter mich. Ich griff nach dem fetisch des schattenschürers und befahl einen kreis um mich, um meine spur zu verwischen. Ich kroch weiter in den kommandounterstand des grabens mit weiteren toten darin. Die ausrüstung der soldaten war zum teil unbrauchbar durch die feuchtigkeit und zunehmende kälte, aber ich fand das was ich brauchte. Die bestien fielen über mein kriegskleid her und zerrten es in den krater an dem ich vorbeigekommen war. Der wind schrie auf sie ein, um sie zu warnen und auf mich zu hetzen, aber sie waren dem rausch zu sehr verfallen um ihm zu gehorchen. Bei dem trichter angekommen trotzte ich dem widersacher und stellte mich am rande aufrecht hin, richtete die mündung auf die meute und übergoss sie mit brennendem kerosin.

Algonkin tanzte den schatten herbei. Drei feuer warfen den scherenschnitt des schamanen an die wände und sein an- und abschwellender bass ließ die seelen der jungen aus ihrem kindlichen selbst erwachen. Die zeit und der ort bildeten einen kokon, aus dem sie als erwachsene hervorgehen würden. Lebanye fühlte eine schwere, die in ihn eindrang, sich wie eine der großen wellen der see in ihm ausbreitete und seine unbesorgtheit in standfestigkeit verwandelte. Wissen und stücke von weisheit nisteten sich ein in seinem geist und seinen armen und in seinem herzen. Fünf waren gekommen, in ihren schmalen booten, jeder und jede für sich fort gesandt über das wasser von ihren müttern und vätern mit worten voller rührung, ermutigung und stolz. Sie vertrauten ihre kinder dem unermesslichen an. Auf den kämmen der wellen sollten sie reiten, wie sie es getan hatten und ihre mütter und väter und die altvorderen. Jeder hatte seinen eigenen weg gefunden, war zu dem felsigen eiland gekommen, hatte sein boot das ufer hinaufgezogen und die steilwand überwunden um auf das plateau zu gelangen. Algonkins haus aus walbein und robbenfell stand hier oben, seit anbeginn der erinnerung. Der alte mann, so grau wie der stein aus dem die insel bestand, hatte sie wortlos empfangen, ihnen zu essen gegeben und sie dann die erste nacht in ihren geölten häuten unter den sternen dem wind überlassen. Ihre gespräche waren zu anfang voller ungestüm und jugendlicher selbstbehauptung gewesen. Die geschichten, die sie sich erzählten, von ihren eltern und großeltern und von ihren eigenen taten entstammten mehr ihren träumen, als dem was die gestirne beobachtet hatten. Jeder von ihnen hatte laut, oder für sich über die zunge der anderen gelacht. So fremd waren jedem die anderen, dass es viele stunden gemeinsamen wartens brauchte, bis sie ihre gemeinsamkeiten zu entdecken begannen. Die klans waren über viele inseln und küsten verstreut, einige wussten von einander nur aus den liedern ihres gemeinsamen ursprungs und den sagen der helden. Alle blutlinien trafen sich in der zeit der mythen. Die kultur war immer noch eins, auch wenn die zweige im fortgang der generationen unterschiedliche blüten hervorbrachten. In dieser nacht fanden zwei von den fünfen zueinander. Sie würden die insel als paar verlassen. Am morgen, mit anbruch des lichts und der erneuerung der schatten lud algonkin sie in sein haus und hüllte jeden beim eintritt in weißen rauch.

die leeren häuser schauten auf uns herab, auf mich und die toten. Häuser mit vielen stockwerken und vielen reihen schwarzer augen. Ob sie ihre einstigen bewohner, ihre erbauer wiedererkannten? Waren sie froh, ihrem zweck entronnen zu sein? Wenn ja, mussten sie uns als eindringlinge und als gefahr betrachten. Nachdem ich mir in den gräben die nötige zeit verschafft hatte, konnte ich die toten in einem größeren ritual davon überzeugen, mit mir zu gehen und mir als leibwache zu dienen. Meine agenda hatte ihnen gefallen. Noch einmal gegen die mox zu kämpfen war besser als ein ewig kaltes grab. Ich ging in ihrer mitte, sie in lockerem verband um mich her, mit aufgepflanzten bajonetten. Der schutz des fetisch hielt noch an, darum machte ich mir vorerst keine sorgen, außer wegen der verwaisten häuser. Die unterstadt lag vor uns wie der aufgeschnittene bauch eines leviathans. Reste von glut wo die großen feuer nach dem einschlag gewütet hatten. Schwärme schwarzer vögel hielten die wohnstatt der fremden besetzt. Wir benutzten eine maschinenhalle als unterschlupf. Die soldaten verteilten sich an den ausgängen und den fenstern der galerie und machten sich unsichtbar für blicke von außen. Ich holte hervor, was ich von den verkohlten leichen der hunde mitgebracht hatte und verstreute die stücke um mich zu einem kreis, setzte mich in die mitte, entzündete eine flamme auf einem becher kerosin und begab mich in trance. Der schatten umschlang mich, wiegte mich, wischte den glamour beiseite und öffnete mir das wahre gesicht. Die brocken zu einer seite glommen auf und fingen an, vielfarbige funken zu sprühen. Aus ihnen las ich zahlen und zeiten, verteilung und bewegung der mox, die sich in der stadt befanden. Ihre bewohner blieben dunkel. Es waren keine übrig. Die eroberung und besiedlung unserer welt hatte für die fremden in einem totalen fiasko geendet. Sie würden nichts weiter als ein echo in unseren liedern und geschichten sein. So sehr ich die unentschiedenheit und verzagtheit junger helden in den legenden verabscheute, angesichts der grausamkeit, die sich in den nackten ziffern lesen ließ und angesichts der macht mit der ich es würde aufnehmen müssen, wurde mir für einen moment mulmig ums herz. Ich drückte die aufkommende angst nieder und konzentrierte mich auf das muster, prägte mir jedes detail ein, dessen ich habhaft werden konnte und ließ den glamour dann wieder hervortreten. Zumindest würde mein vorhaben, wenn es gelang, den kalten zauberer an ort und stelle rufen.

Die geister stiegen von den wänden, nahmen sie bei den händen und zogen sie zu sich in ihr eigenes reich. Sie zeigten ihnen das vergangene, wie sie es mit ihren zeitlosen augen sahen. Die verwobenheit der ereignisse seit dem anbeginn wurde ihnen offenbart. Ein tropfen demut, hände voll zuversicht und mut für das eigene leben, jenseits des gartens der jugend. Für die anderen war es ein traum, den sie in ihre tage hinübertragen würden. Für lebanye war es weit mehr als das. Die geister, die sich seiner annahmen, waren könige und helden gewesen, die urväter seiner sippe. Lebanye erkannte algonkin unter ihnen, der ihn mit brennenden augen fixierte. Algonkin war sehr viel älter, als irgendwer geahnt hätte. Mit ihnen waren die totems aller klans, tiere und bäume, berge und seen, ein ganzes land der bedeutsamen zeichen und zugehörigkeiten. Kräfte und wesenheit aller arten und herren aller domänen. Ein reißender strom der überlieferung, angefüllt mit signaturen und den wurzeln aller gespinste, aus denen das gerüst des glamours hervorging. Sie umringten ihn, wirbelten um ihn, tanzten mit ihm, flüsterten ihm wünsche und forderungen zu und grüße, wie einem, der lange erwartet worden ist. Sie schenkten ihm lang verborgene gedanken und weckten mächte in ihm. Sie hegten unverhohlene erwartungen und sprachen furchtbare worte, die einem schwächeren das gehirn zermartert hätten. Lebanye hielt ihnen nur gerade so stand. Die momente eines friedvollen lebens rauschten an ihm vorbei wie blätter in einem orkan. Momente die anderen gehören sollten, niemals ihm, der dazu gezogen war, ihnen diese momente zu ermöglichen. Algonkin trat in den kreis, auf ihn zu. Brennende augen in flackerndem schwarz, die herrschenden hände um lebanyes schläfen und stirn, der mund berstend vor bösen ahnungen – kalter zauber, feind der alten, serpentklan, verloren, ausgeschert, ein bündnis, feind, gepeinigtes eis, und das ende – und dann stieß er ihn in die leere.

Amara war von dunklem blut, sie war eine der vier töchter der drachenmutter und hatte freie wahl zwischen den wegen. Sie entschied sich gegen die ehe, die priesterschaft und den weg des kriegers. Amara wollte die fremden kennen lernen. Sie eignete sich ihre zunge an und sprach für ihr volk bei dem ständigen rat, den ihre mutter mit den eroberern ausgehandelt hatte. Im zweiten jahr fanden die fremden heraus, dass unter der stadt die sie bauten etwas älteres verborgen lag und fingen an zu graben. für arbeiten, die die maschinen nicht leisten konnten wurden angehörige der stämme eingesetzt, deren arbeitsrechtvertretung eine ihrer hauptaufgaben wurde. viel neues wissen, viel fremdes denken, sie fand das sehr aufregend. die neue lebensweise gefiel ihr. in wenigen jahren entwickelte sich aus der grabung eine zweite stadt unter der ersten. jahrtausendealte ruinen nahmen gestalt an. ihre leute wurden unruhig. gerüchte machten die runde, der widerhall uralter mythen, geistergänger kamen in die stadt und besuchten die relikte, reisten nervös wieder ab. und dann begann der krieg. amara stellte fest, dass sie sich weit von ihren leuten entfernt hatte, soweit, dass sie ihr ihre seele verschlossen hatten. nachrichten erreichten sie nur noch über die öffentlichen kanäle. die drachenmutter war tot, einem attentat zum opfer gefallen, ihr volk sammelte sich unter einem kriegsherren, den sie nur vom namen her kannte, einem häuptling aus dem eisland im hohen norden. die siedler rüsteten im eiltempo auf, als die mox erste siege errangen. mox, benannt nach einem alten gott des eises. die meldungen aus den schützengräben sprachen von zauberei und ungeahnter grausamkeit. ihre leute, die die nicht vor und kurz nach beginn der feindseeligkeiten zu den stämmen zurückgekehrt waren, verschanzten sich in der tiefe. irgendetwas schützte sie da unten, vielleicht ein weiterer zauber. als die front immer näher an die stadt heranrückte, richteten sich die bewohner auf das ärgste ein, erbarmungslose kämpfe, opfer unter der zivilbevölkerung, vertreibung und alles was damit einhergehen mochte. am ende aber kam alles viel schlimmer. amara sah den frosthammer auf die stadt herabstürzen, sah wie er die gebäude im zentrum zu staubwolken zermalmte und die erdkruste zerbrach, wie die schale eines eis. Allein die mannigfaltigen bannsprüche auf ihrer haut bewahrten sie vor der verheerenden magie der alten zeit. warum war sie nicht mit ihrem volk gegangen, anstatt bei den fremden zu bleiben? weil sie etwas böses in ihnen gesehen hatte und jetzt wusste sie was es war.

die toten schickte ich voraus. Sie wussten über ihr schicksal bescheid und waren es zufrieden, als köder zu dienen und sie würden zumindest lange genug durchhalten, um noch einige mox mit ins jenseits zu ziehen, bevor sie ein zweites mal und damit endgültig die seite wechselten. Ich ließ sie kleine magische bomben tragen. Jeder von ihnen ein sprengsatz, ein türöffner in die ewigen jagdgründe. Sollten die mox überheblich genug auf sie anspringen würden sie damit meinem eigentlichen vorhaben den weg ebnen. Ich machte mich für ihre augen unsichtbar, folgte den toten in gemessenem abstand und behielt die umgebung im auge. Als wir die unterstadt betraten, bemerkte ich zahlreiche augen sich auf meine krieger richten. Die mox ließen sich zeit, sie hielten die soldaten für ein kuriosum und erkannten die gefahr nicht. Tief unten wurde die spannung spürbar, wie unmittelbar vor einem gewitter. Als weit voraus das schießen begann, scherte ich zur linken aus und betrat einen korridor, der zwischen schutt und trümmern frei geblieben war. Stammeskrieger wechselten vor mir über, wie rotwild. Ich ließ mir zeit, bis die ersten explosionen ertönten und ihr violettes feuer über den resten der stadt aufleuchtete. Die flammen rauften sich jetzt zu einem sturm zusammen und wälzten sich zu meiner rechten über die verblendete meute. Ich flüsterte dem wesen im feuer zu, lockte es heraus. Es sollte die macht über sein element gewinnen. Feuer ist der vater des schattens, wie dunkelheit seine mutter ist. Schatten wurden überall um mich her lebendig, bewegten sich mit eiliger eleganz. Die mox, die sich im kampf mit meinem elementar befanden, konnten nicht ahnen, dass sie bereits von einer horde von furchbaren kriegern umgeben waren, die aus den selben abgründen stammten, wie der herr, dem sie sich untertan gemacht hatten. Antagonisten aus dem ersten zeitalter, als die elemente noch unmaskiert gegeneinander stritten. Ich setzte meinen weg fort. Vorbei an dem lärm der aufblühenden schlacht. Das zentrum tauchte vor mir auf. Eine grube und in ihrer mitte ein eiserner würfel vom ausmaß einer festung. Schreckliche kälte ging davon aus, schlug mir entgegen und ließ mich meinen eigenen tod ahnen. Der frosthammer. Ich trat an den vereisten rand des kraters, suchte nach einem gangbaren weg hinab und dann sah ich sie.

er war allein auf der ebene der schatten, eine geisterwelt unter den anderen. eine der ältesten. wüstes land im zwielicht. lebanye schaute sich um, sah nur wenige markierungen im gelände, an denen das auge festhalten konnte. alles floss ineinander, selbst land und himmel, beides eisengrau, waren eins. zuerst fühlte er sich ganz allein, wie vergessen, aber dann kam ein wind auf, der ihn einhüllte, um ihn wirbelte, wie im tanz und ihn dann in eine richtung schob. lebanye gab ihm nach und begab sich auf den weg, den der wind ihm wies. Er hatte den eindruck viele meilen gegangen zu sein, als unvermittelt vor ihm aus dem driftenden land ein turm hervortrat, der schmal und schlank aufragte, so hoch, dass seine spitze unsichtbar blieb. Schemen tanzten um sein fundament, geister mit dornenkronen und flügeln und den füßen von tieren. Lebanye blieb stehen und schaute den tanzenden zu, bis einer aus dem reigen trat und auf ihn zukam, der größte von allen. Das wesen hielt etwas in seiner rechten tatze und warf es ihm aus einigen schritten entfernung zu. Als lebanye es auffing, stach ihm kälte in die glieder und er ging auf die knie. Anstelle dessen was ihn umgeben hatte schob sich ein blick auf die alte welt. Dunkel und feuer gebaren schatten, eis und sturm und der kalte zauberer erhob sich als kriegsherr über die jüngeren kinder der welt. Kriege walteten wie ebbe und flut, bis schatten den frostkönig besiegte und ihm fesseln aus nacht anlegte, die ihn über viele jahrtausende hinweg binden würden. Dann besiedelten die klans den hohen norden und als die fremden nach sifereth kamen und das haus des schattens freilegten, warf der alte feind seine fesseln ab und machte sich den serpentklan untertan. Verräter an ihrem eigenen erbe. Lebanye schwebte über der verheerung und landete wie herbstlaub zwischen den gräben, den fetisch noch in händen. Obwohl es bereits frühling geworden war, lag das land in starrer kälte da. Der winter war zurück gekommen. Er dachte an die anderen, die jetzt zu ihren familien heimkehrten, dachte an algonkin und dass er ihn ausgewählt hatte um dem frost einhalt zu gebieten. Er raffte sich auf, als er das gebell der hunde hinter sich hörte und ging in richtung der stadt.

Die frau liegt da wie tot, vor kälte blau im gesicht, mit geschlossenen, reifbesetzten lidern. Nur an dem kleinen bisschen dampfenden atem, der aus ihrem mund kommt, kann ich sehen, dass sie noch nicht die seite gewechselt hat. Ihre haut ist beschriftet. Alte zauber, die sie noch eine weile lang am leben halten werden. Ich trete zu ihr und lade sie mir auf. Weiter unten im krater setze ich sie ab und beginne damit, sie mit splittern von schatten zu bedecken, die hier überall verstreut liegen. Ich nehme etwas wärme von dem fetisch und lege sie ihr gemeinsam mit meinem totem bei. Sie soll wissen wer ich war. Zum abschied gebe ich ihr einen kuss, denn sie ist die mutter des kommenden zeitalters. Ich erhebe mich und trete vor den frosthammer. Der fetisch summt in meinen händen im ultrabereich. Ich lächle, als sich der hammer öffnet und mich verschlingt.

Als amara die augen öffnet ist es warm und weiches licht liegt auf ihr. Sie hebt den kopf und sieht, dass der eiserne tod verschwunden ist. Auf ihrer brust findet sie ein kleines stück treibholz.

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain