das bleiche

Das neue hing weit oben in den zweigen des baumes. Wenn es herunterfiel konnte es sterben. Schwarzer kletterte vorsichtig, um den baum nicht in schwung zu bringen und kroch dann wie eine schlange auf den ast, achtete darauf, sein gewicht nicht zu weit nach vorne zu verlagern und streckte eine hand zu dem schreienden bündel hin. Er bekam es zu fassen und pflückte es sanft aus den zweigen, nahm es an sich und stieg behutsam wieder hinunter. Das neue hatte ein rotes gesicht, wurde aber sofort still, als er den waldboden berührte. Er schaute in die kleinen augen und freute sich, als es seinen blick zurückgab. Er ging einen krummen weg mit wiegendem schritt bis zu einem farn, brach ein stück davon ab und säugte das neue mit der pflanzenmilch, bis es ihm satt erschien. Auf dem heimweg suchte er nach einem namen und fand ihn, als ein biber nahe an seinem pfad entlang schwamm. Das neue hieß biber.

Jedes neue war kostbar und wer es fand war gesegnet. Sie begrüßten jedes mit liedern und tänzen und alle hießen es willkommen und sprachen dem, der es gepflückt hatte ihren dank aus. Nicht jedes wurde rechtzeitig entdeckt. Die nicht laut genug waren, um gehört zu werden, verhungerten in den baumkronen und wurden erst gefunden, wenn ein sammler zufällig darauf stieß, oder ein wind den kleinen körper hinabwarf. Sie waren nur sehr wenige ältere. Einige starben jedes frühjahr, einige verschwanden, wenn die bleichen jagd auf sie machten. Für jeden hielten sie eine trauer, sie sangen und tanzten wieder, aber die töne und bewegungen waren dunkel und gebeugt. Es gab viel zu tun in den ersten monaten, in den ersten jahren, bis das neue kein neues mehr war und an den dingen der älteren teilnahm. An diesen aufgaben nahmen sie alle anteil, jeder hatte dem neuen etwas zu geben.

Schwarzer war stark. Er sammelte für zwei und jagte wie ein panther. Wenn die bleichen ihn jagten, würde ihm das nicht helfen. Das bleiche war magisch, es bewegte sich unter der erde. In seinen träumen kam das bleiche zu ihm, verband sich mit seinem körper, fraß ihn, saugte ihn aus. Weißzahn hatte einmal etwas zu ihm gesagt, das ihm immer wieder zu denken gab. Sie hatten an einem tümpel gesessen, im sommer und die fische beobachtet. „Es sind nur die stärksten, die verschwinden und nur die schwächsten die sterben. Vielleicht ist es eine ehre, wenn sie dich mitnehmen.“ Er war im nächsten frühjahr getötet worden. Schwarzer konnte an die ehre nicht recht glauben, aber was der alte beobachtet hatte, entsprach der wahrheit. Schwarzer kannte keine erklärung dafür. Alle jäger hatten es auf die schwachen abgesehen, aber keiner ließ seine beute einfach liegen. Was geschah mit den anderen, mit denen die verschwanden und nie mehr wiederkehrten? Bestimmt zerrten die bleichen sie mit sich in den untergrund, aber niemand wusste etwas darüber wie die bleichen dort unten lebten, ob sie überhaupt lebten, oder geister waren. Die bleichen kamen nur in der nacht, oder in der dämmerung, niemand hatte sie je im vollen licht gesehen und sie hinterließen keine spuren. Nur die eingänge zu ihrem reich waren bekannt, zumindest einige davon. Es waren löcher im boden, die in die dunkelheit führten und mit mächtigen zeichen geschützt waren. Von zeit zu zeit gab es einen, der toll genug war dort hinein zu gehen, nur um nie wieder gesehen zu werden. Jeder der klug genug war, sein leben zu lieben, hielt sich davon fern.

Einen halben mond, nachdem er biber gefunden hatte, war schwarzer einen langen tag über einem bock auf der spur, der ihm immer wieder entkam. In der dämmerung verlor er schließlich die fährte. Das bleiche verfolgte ihn schon eine weile. Genau so begannen seine träume, er war auf der jagd und wurde selbst zum gejagten, aber das bleiche hatte es nicht eilig. Es war schneller als er und tauchte immer wieder für einen augenblick auf, als wollte es ihn wissen lassen, dass es die oberhand hatte. Schwarzer hatte sich den Tag über weit von den hütten entfernt und wich immer wieder von den direkten pfaden ab, auf seiner flucht, aber das bleiche schien jeden seiner schliche vorauszusehen. Manchmal sah er es nur wenige schritte neben sich, dann war es unvermittelt vor ihm und zwang ihn, zur seite auszuweichen, dann, wenn er sich in seiner zunehmenden angst umdrehte, kam es hinter ihm her, war ihm aber am ende wieder voraus. Das ging immer so weiter und es gelang ihm kaum, näher an sein ziel heranzukommen, die hütten seiner sippe, wohin ihm das bleiche vielleicht nicht folgen würde. Es wurde dunkel unter den ästen und sein herz hämmerte und sein atem ging schwer. Er musste schließlich stehen bleiben und in die hocke gehen, um wieder zur ruhe zu kommen und seine verwirrung abzuschütteln. Für kurze zeit war es still um ihn herum, dann sah er das bleiche direkt vor sich im zwielicht. Es hatte breite hüften und besonders hervorstehende brüste und so wie es gemustert war, musste es sehr wichtig sein. Die bleiche haut schien im dunkel aufzuleuchten. Es bannte seinen geist. Anstatt weiter zu fliehen blieb er wie verwurzelt. Die großen, schwingenden brüste und der wiegende unterleib des bleichen hypnotisierten ihn, dazu war ein besonderer duft um ihn herum. Schwarzer konnte sich nicht bewegen. Es war, als wäre all seine kraft in seinem bauch konzentriert und das ding zwischen seinen beinen war so hart geworden, dass es weh tat. Schwarzer verstand nichts, er spürte große angst und zugleich eine unbändige erregung und konnte nicht anders, als das bleiche mit großen augen anzustarren. Es kam ihm näher, hob dabei die arme leicht an und drehte die handflächen mit gestreckten fingern nach außen. Es blieb nur einen schritt vor ihm stehen und so groß wie es vor ihm stand, blickte er genau auf die stelle zwischen den beinen, wo nichts war, oder doch etwas. Der betörende duft ging von dort aus und streckte seinen geist nieder. Schwarzer verlor den verstand.

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain