Goblin Press – Die Horror-Fabrik

Wer in Deutschland den einen oder anderen Fantastik-BuchCon besucht hat, den in Marburg etwa oder den in Dreieich, dürfte bereits über das Ouevre der Goblin Press gestolpert sein, so wie es mir geschehen ist. Hier werden Bücher für Bibliophile angeboten, die kurioserweise mit den denkbar einfachsten Mitteln hergestellt werden. Mit Klemmschiene gebunden sind Goblin-Bücher üblicherweise nicht mehr als einhundert Seiten stark, die Seiten selbst sind einfach gedruckt und gefalzt. Die Falz zeigt nach außen, wodurch in einer Art Innenleben verborgene Seiten entstehen, auf denen sich mitunter Dinge befinden, die nur ein mutiger Schnitt am Produkt hervorholen wird. Zweifarbige Schutzumschläge umschlingen diese Bände mit kontrastreichen Illustrationen, vorne finden sich in immer gleichem Rahmen Titel und Name des Verfassers, hinten nur selten eine kurze Zusammenfassung des Inhalts.

Das Obskure und Handgemachte stärkt mir den Eindruck, etwas wirklich Fantastisches und irgendwie nicht für aller Augen Sichtbares in Händen zu halten. Jörg Kleudgen, Schriftsteller, Musiker und Betreiber der Goblin Press ist, wenn auch in der Fantastik-Szene bekannt, niemand, der kommerziellen Erfolg anstrebt. Sein Erfolg als Verleger besteht bereits seit vielen Jahren in der Verbreitung von Werken der dunklen Literatur, die selbstbewusst am Hochglanz des Mainstream vorbeigehen. Am Verlagsstand sitzt mit ihm im Übrigen Erik Hantsch von der Edition CL, der zusammen mit Kleudgen das Fantastik-Magazin Cthulhu Libria Neo herausgibt.

Autoren der Goblin Press: Tobias Bachmann, Vincent Preis-Träger 2017, Max P. Becker, der seiner eigenen Bibliographie vorauseilt, Uwe Voehl, längst ein tragender Stützpfeiler deutscher Fantastik, der in 2010 verstorbene Michael Knoke, Daniel Schenkel, u.a.

das_siegel_des_mandschu1Und da wären dann noch Kleudgens eigene Werke. Nach Cosmogenesis und Totenmaar, die bei anderen Verlagen erschienen sind, habe ich nun auch drei seiner Erzählungen in ihrer jeweiligen Goblin-Ausgabe gelesen. Zum einen den gemeinsam mit dem kurz nach Fertigstellung des Buchs verstorbenen Autor Bernd Rothe verfassten Band Das Siegel des Mandschu.

Hierbei handelt es sich um eine implizite Wiederauferstehung des Pulp-Schurken Dr. Fu Manchu, alias Die Gelbe Gefahr. Die Vorlage stammt aus einer Reihe von Romanen des Autors Sax Rohmer, sowie deren Verfilmungen mit Boris Karloff und Christopher Lee.

Das Siegel des Mandschu, vierundsiebzig Seiten lang, ist ein gekonntes Stück Pulp-Literatur, actionreich, abenteuerlich, im China der Fünfziger und frühen Sechziger angesiedelt. Einige sehr stimmungsvolle Horror-Passagen werden mir in Erinnerung bleiben, in denen das übernatürliche, irgendwie untote Leben des Mandschu und seine hypnotischen Kräfte thematisiert sind. Dreifach ist die Erzählung in der Art einer Matroschka verschachtelt. Drei zeitliche Ebenen liefern Berichte über die wiederkehrende Auseinandersetzung der Protagonisten mit dem Mandschu. Eine davon lässt dieses Genie des Organisierten Verbrechens noch als menschliches Wesen bestehen, die zweite, längere bereits lässt von dieser Normalität keinen Stein übrig, die dritte erst offenbart das Wirken eines Plans von langer Hand, mit dem der Antagonist durch die Zeit reicht. Im Finale bedient sich die Erzählung noch eines überraschenden Twists.

fabrikDer Vorlage letztlich, wie ich finde, klar überlegen, bleibt Das Siegel des Mandschu doch noch deutlich hinter Kleudgens Möglichkeiten, seinem Können als Schriftsteller zurück. Die zweite Erzählung findet noch weitaus tiefer in das dunkle Herz der Fantastik hinein: Die Horror-Fabrik empfahl mir Kleudgen denn auch als sein bestes Buch.

Adler sucht die Fabrik auf, um ihre Schadstoffemissionen zu überprüfen. Noch bevor er sie in ihrem Waldversteck findet, begegnet er einem seltsamen, stummen Mädchen und wird beinahe Opfer eines rasenden PKWs.

Die Natur spielt hier eine wesentliche Rolle, der Wald nämlich „erstickt an sich selbst“. In seinem Dickicht stößt Adler nicht nur auf Hinweise für Wirtschaftskriminalität, sondern auf einen tatsächlichen Mordfall, wird überdies nachts von einem wirklich gewordenen Albtraum aufgesucht, erfährt Dunkles über die Geschichte der Fabrik selbst. Sie existiert seit mehr als einem Jahrhundert, ist ein Relikt der späten Industrialisierung und in ihren frühen Jahren wurde in ihr wohl Giftgas produziert. Was heute aber in der Fabrik hergestellt wird, lässt sich weder durch Adler, noch durch ihre Angestellten herausfinden. Ein Geheimnis wird hier gehütet, aber den Leser beschleicht schon bald das Gefühl, der Hüter könne noch über den Betreibern der Anlage stehen und am Ende nicht einmal aus der Menschenwelt stammen. Der Hölle der Fabrik steht ein wildes Waldvolk gegenüber, von dem ein Einsiedler mehr zu berichten weiß. Adler, der Ingenieur, begegnet hier einer Sehnsucht, aus dem Übel der Zivilisation auszusteigen, aber wie schon der seltsame Charakter des Waldes vermuten ließ, bleibt diese Freiheit für den Ermittler unerreichbar, zieht sich auch vor ihm zurück und lässt ihn allein dastehen. Darin liegt für mein Empfinden die Stärke der Erzählung. Zwei Seiten sind darin in merkwürdiger Liaison verknüpft, opponieren einander und lassen sich gleichermaßen nicht mit Adlers Ratio – sowie der des Lesers – durchdringen. Der Horroraspekt ist darin dunkel, ominös, beunruhigend eher als schockierend. Er übersteigt, wie nur in den herausragenden Werken dunkel-fantastischer Literatur, wahrhaft das Fassungsvermögen des menschlichen Verstands.

Jörg-Kleudgen+Saburac-ErzählungZum Dritten las ich Saburac, das sich mit Die Horror-Fabrik den Schauplatz Beuringen teilt, aber dadurch nur lose mit der anderen Erzählung verknüpft ist. Saburac – der Name ist der TV-Serie Catweazle entlehnt –, so bezeichnet Krebs, der Protagonist, aus einer inneren Regung heraus das Schloss von Beuringen. Ein zufälliges Abkommen vom Weg verschlägt ihn in den Ort und er ist ein Ort seiner Erinnerung, ohne dass Krebs sich ganz dessen bewusst wird. In Saburac ist der Wald nun gar dämonisch, sind auch auftretende Figuren wie der Herr mit dem grauen Hund an der Seite und einer Dohle auf der Schulter nicht geisterhaft, sondern mystisch. Noch mehr als Die Horror-Fabrik ist Saburac mythisch aufgeladen. Eigentlich sollte Krebs in Frankfurt seinen Arbeitgeber treffen, doch diese Wirklichkeit entzieht sich ihm. Ein Tagebuch, das Krebs in einem Antiquariat kauft und in dem er zu schreiben beginnt, wird ihm mehr als wichtig, wird sein ganzes Leben. Ebenen des wachen Erlebens, des Traums und der literarischen Fiktion beginnen sich nun gegenseitig zu durchdringen.

Die Erzählung schlägt einen persönlichen Ton an, auch eine psychologische Richtung ein, Krebs scheint zwischen Illusion und Desillusion gefangen zu sein, der Ausweg, der sich ihm bietet, erscheint wie einer, den nur ein Wahnsinniger finden kann.

www.goblinpress.de

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain