Futur 3

Nachdem der Science Fiction viel Schwarzmalerei vorgeworfen wurde und sich in den letzten Jahren die Stimmen häufen, die von ihr fordern, eine positive Zukunft zu entwerfen, hier ein kleines Blinzeln:
Ein Teil der neueren Science Fiction besticht mich mit einem Detail, dass nämlich die Zukunft als eine Zeit möglicher Selbstbestimmung zu denken sein kann. William Gibsons Cyberpunk-Klassiker „Neuromancer“, Neal Stephensons Cyberpunk-Romane, auch die große Bandbreite retrofuturistischen Steampunks leben von dem in die eigene Hand Nehmen der Dinge durch die Protagonisten. Diese in den Achtzigern neuromantische Strömung und ihre Ausläufer haben nicht nur Grenzen des Vorstellbaren gesprengt, sondern Vorstellbares auf den Kopf gestellt. Vielleicht ist uns gar nicht so recht aufgefallen, was sich dadurch geändert hat.
In „Roter Stern – Winterorbit“ von Gibson und Bruce Sterling fliegen Menschen mit umgerüsteten Wetterballons bis in die obersten Schichten der Atmosphäre hinauf und kapern eine alte aufgegebene russische Raumstation. Gerade als es so aussieht, als ob Raumfahrt den großen Tod der Zivilisation mitstürbe, ist es der Erfindungsgeist Einzelner, die Nichtaufgabe ganz gewöhnlicher Menschen, die Hoffnung auf die Zukunft erhält.
Die „Neuromancer“-Trilogie ist voll solcher Figuren, die mit geringsten Mitteln großartige Dinge erreichen. Ebenso die späteren Romane Gibsons, seine Gegenwarts-Science-Fiction, die eben jenes Verständnis des Machbaren in unser Hier und Jetzt verortet.
Neal Stephensons Werk ist durchgängig von solchen Selfmade-Figuren geprägt, die keinen Staat und keinen Konzern benötigen, um große Projekte umzusetzen. Auch sein „Amalthea“ erlaubt die Rettung der Menschheit angesichts möglicher Auslöschung durch Meteoreinschlag nur durch gemeinsames Handeln, durch die Raffinesse und die Unbeugsamkeit von Experten und Autoritäten auf exotischen Wissenszweigen.
Im Steampunk, sowohl in seinem literarischen Zweig, als auch auf seiner Lifestyle- und Mode-Flanke, ist es das Werkeln mit selbstangeeignetem Wissen und Sachverstand, das alle dampfgetriebenen, hydraulischen und Uhrwerk-Wunder möglich macht.
Vernor Vinges Roman „Friedenskrieg“ zeigt uns eine Welt jenseits eines technologischen Abstiegs, in der sogenannte Bastler (engl. Tinker) als einzige den Gedanken an Fortschritt im Herzen tragen und unerschrocken gegen die herrschenden Mächte des Rückschritts vorgehen.
In Gradisil von Adam Roberts ist es ein Hobby-Aeronaut, der seine Familie in den Erdorbit bringt.
Gerade in dem die Wirklichkeit sich darstellt, als ob alles Großartige, aller Fortschritt, alles Überleben und Vorankommen der menschlichen Spezies von ihrer Zusammenrottung unter nationalen Bannern und Firmenherrschaften, dem Kapital, um es auf den gemeinsamen Nenner zu bringen, abhängig wäre, entlarvt sie sich als ungenügend, als ängstlich und angstbesessene Kleintuerei.
Wenn es eine Zeit gab, in der dieser Mythos Wahrheit gewesen ist, so ist sie nun endlich vorüber. Mit dem Aufkommen der PCs in den Achtziger Jahren, dem des Internet und der Fülle neuer Kommunikationsmittel in den Neunzigern, der Möglichkeit der Kapitalbesorgung mittels Crowdfunding, dem Cluster-Computing, bzw. dem Crowdworking, den immer ausgefeilteren Methoden des 3-D-Drucks und allem, was unsere heutige Welt dem Einzelnen oder kleinen Gruppen von Spezialisten an die Hand gibt, um Wirklichkeit zu gestalten, ist eine Veränderung der Gesellschaft ohne staatliche Lenkung und ohne die Aufsicht durch Aufsichtsräte längst Möglichkeit geworden: Direkte Demokratie erlebt eine neue Phase realistischer Denkbarkeit, Kunst kann mittels Software die große Hürde der Finanzierung überwinden, Selfpublishing erlebt gerade eine herausragende Blütezeit. Gedanken werden endlich geteilt, ohne an sprachlichen, nationalen oder geographischen Grenzen stehenzubleiben. Open-Source-Programmierung zeigt uns die Weiten des im Kollektiv Machbaren auf.
Darin besteht nun der Sense of Wonder unserer Zeit. Nicht nur in dem, was mittels Hochtechnologie und modernster Wissenschaft erreicht werden kann, sondern in dem, was aus eigener Hand, mit wenig Kapital, durch Recycling, durch Bastelei und unerschrockenes Ausprobieren machbar geworden ist. Dazu braucht es kein Genie, keinen einzelnen Kopf, der als zentraler Unternehmer auftritt, keinen Mastermind. Es braucht dazu nur ein geteiltes Interesse und den Willen zur Zusammenarbeit, Absprache, gemeinsames Handeln. Es braucht Menschen, die sich nicht erst sagen lassen, was zu tun ist, um ihre Träume verwirklichen.
Angesichts dessen, was die Zukunft an Vernichtungspotential für uns bereithält, werden wir dieses Kleinwenig an Optimismus und positivem Denken wohl noch ganz dringend brauchen.

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain