Geschwärztes glas

Es brauchte viel zeit, aufzutauchen, zu viel zeit, es war mühsam, all die schichten des unbewussten aufwärts erneut zu durchreisen, die er im laufe des schlafes hinabgestiegen war, und am ende war sich toads nicht sicher, ob er mit dem richtigen namen und dem richtigen gesicht aufgewacht war. „Mein kopf ist pelzig, innen drin“, dachte er, „alles bitzelt. Ich könnte ausgewechselt worden sein, gegen ein neues etwas und das gefühl kommt daher, dass die zellen meines körpers erst ein paar stunden alt sind.“ Schwaden sich auflösender episoden von traum, wie mit gas gefüllte luftballons, die sich losreißen und aufwärts fliehen. An gedankenfäden, die verblassen, möglichkeiten, die ir­gendwo vielleicht zu wirklichkeiten werden mochten, aber nicht hier in diesem kalten zimmer, in das die nacht bereits eingedrungen ist, wo sie vergessen sind, wo noch ein ganzer abend, eine nacht wartet, in der nichts geschehen wird, in der die sekunden träge, zäh wie schlacke fließen. Toads war al­lein mit einem kalten abendessen, abgestandenem bier in einem fast leeren raum. Bett, sofa, tisch, kleider im rucksack und ein fenster. Ohne licht anzumachen, stellte er sich davor, schaute auf die straße und rauchte dabei. Laternen, geparkte autos, regen, keine menschen. Er öffnete das fenster, um dem regen zuzuhören und versuchte, sich an etwas aus seinem traum zu erinnern. Aber da war nichts mehr. Es war alles fort, eine ganze welt, ganze welten waren einfach untergegangen, als er die augen aufschlug. Dabei war traum doch auch eine art von bewusstsein, und wenn er sich schon mit einem abfinden musste, dann wollte er eben wieder dorthin zurück. Wozu hatte er sich die mühe gemacht, hierher zurückzukehren? Warum bestand sein körper darauf, ihn aufzuwecken, als ob er hier etwas zu tun hätte, als ob er hier gebraucht wurde? Trinken und vergessen, das hatte gestern noch funktioniert, auch wenn er danach nicht gut schlafen konnte. Heute konnte er sich nach dem bier nur noch weniger leiden. Das war nichts für ihn. Lesen. Lesen war ein schwacher ersatz für einen traum. Er hatte ein paar bücher dabei, aber sie hielten ihn nicht, sagten ihm nichts. Jetzt jedenfalls nicht. Es gab andere drogen, er hatte keine, vertrug sie auch nicht. Er hatte etwas geld, könnte sich etwas gesellschaft und sogar billigen sex dafür kaufen, brachte aber die kraft dafür nicht auf und fürchtete sich vor dem anderen bewusstsein, das ihn betrachten würde, ihn zwingen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Er fürchtete die nähe, obwohl er sie brauchte, obwohl er die wärme brauchte und das schlagende herz. Naheliegende möglichkeiten, aus dem haus zu gehen, irgendwo hin, wo leute waren, waren wertlos für ihn, er würde sich nur umso mehr wie ein fremder fühlen. Das ging so nicht. „Verfluchter idiot! Was tust du? Verreck doch, verrecke!“, fing er an, sich selbst zu beschimpfen. „Das ist eine unerträgliche situation, unerträglich, absolut unannehmbar, einfach unerträglich“, sagte er sich, nur um es einmal mehr gesagt zu haben, zum hunderttausendsten mal. „Und was geschieht jetzt?“

Er hatte das fenster wieder geschlossen. Als er noch einmal hinaus schaute, weil ihm daran irgendetwas seltsam erschien, sah er, dass der ausblick sich auf unbestimmte weise verdüstert hatte. So als ob ein feiner schwarzer nebel in der luft hing. Dann fiel ihm auf, dass sich schwarzer staub am glas festgesetzt hatte und dass die nacht dort draußen von schwaden erfüllt war. Das licht der laternen erschien ihm unstet. Toads befürchtete schon, ein opfer innerer verdunkelung zu sein und war bereit, alles auf seinen gemütszustand zu schieben, als er erkannte, dass sich über den häusern am rande der stadt große schornsteine erhoben, schlote, aus denen wolken von ruß aufstiegen, wie rauch aus den nüstern schwarzer drachen, die den gesamten himmel einnahmen. Toads wusste, dass wirklichkeit mehr war als nur gegenwart und gewiss mehr als bloße fakten. Er hatte immer an eine gegengegenwart geglaubt und daran, dass seine zeit einmal ihre glänzende maske ablegen würde, um sich als das zu offenbaren, was sie in wahrheit war, nämlich so finster und grausam wie all ihre vorgänger. Der anblick erinnerte ihn an eine shortstory. Aber anders als in dem was er gelesen hatte, war das hier kein utopia, kein stromlinienförmiger retrofuturismus. Das war kein hoffnungsvolles versprechen, sondern die menschenverachtende gothik einer archaischen industrielandschaft. Die straßen waren jetzt nicht mehr leer, sondern füllten sich flutartig mit rußgeschwärztem proletariat, das sich anschickte, barrikaden zu errichten, weil der schleier endlich gefallen war. Eine armee in blauen und grauen overalls, cargohosen und arbeitsjacken, mit brechstangen und schweren schraubenschlüsseln und rohrzangen bewaffnet. Mütter, töchter, ehefrauen und ihre schar von kindern, die kohlengruben entflohen waren, nur um den himmel, der ihnen versprochen worden war, von smog und dampf aus kesseln und essen verfinstert vorzufinden. Er konnte rote und schwarze fahnen sehen, mit blut und schweiß und tränen verschmierte zeichen der verpassten revolution des arbeiters, von vornherein gescheitert an der industrie. Maschinentakt. Stampfen schwerer hämmer. Pflastersteine. Teuerung. Diese leute waren aus ihren überfüllten und armseligen mietshäusern auf die straßen gekommen um dem ersticken zu entgehen. Toads erkannte den gelben hass in ihren augen. Sein geist war jetzt wach, wie vom kohlenfeuer angeheizt. Er erfasste die szene vor seinem fenster, wie ein schaubild der geschichte, ermaß den schrecken, der die gefesselte masse dort draußen dazu getrieben hatte, sich auf den weg zu machen, auf den pfad der dorthin führt, wo das dunkle herz schlägt. Diese rebellion hatte nichts neues an sich, ging keine innovativen wege, musste sie aber auch nicht, da das, wogegen sie sich richtete, seit urzeiten immer das gleiche geblieben war. Dort draußen standen jetzt gaslaternen, deren licht unter dem von brandsätzen und explosionen von dynamit verloren ging. Ordnungskräfte der stadt versuchten das raubtier in schach zu halten, bis militär mit schwerem gerät eintreffen würde. Aufruhrbekämpfung, spezialeinheiten mit wasserwerfern und reizgas. Das war punk. Über die ganze stadt verteilt, die sich wie krebs über land und wasser ausgebreitet hatte, flammten explosionen auf. Brechende dampfkessel stießen fauchende wolken aus und donnerschläge erschütterten straßen und häuser. Die scheibe des fensters begann zu vibrieren, so stark, dass sich das bild vor toads zu verzerren begann. Immer wenn es sich wieder beruhigte, bevor die nächste sonorwelle es erreichte, war mehr von dem schwarzen ruß darauf als zuvor. Es war für toads abzusehen, dass das glas bald pechschwarz geworden sein würde. Es war jetzt an der zeit, selbst auf die straße zu gehen.

Die straße war die hölle. Uniformierte hundemeuten, rauschgranaten, ein riesiger fabrikarbeiter, der zwei polizisten an den hälsen hochhob und ihre pickelhaubenköpfe mit einem krachen gegeneinander schlug, bevor ihn die hunde zu fall brachten. Schmutzige kinder, die die hunde mit zwillen in die flucht schlugen und dem riesen wieder auf die beine halfen. Toads fand sich nicht zu­recht. Die gebäude und der straßenverlauf hatten sich verändert. Das dunkle herz schlug irgendwo in der innenstadt, dort von wo die meisten schreie zu hören waren. Der beat ließ die losen steine auf der straße tanzen. Toads folgte der horde straßenjungen, die heulend davonzog. Zwei querstraßen weiter stießen sie auf erwachsene, denen sie stolz von ihrem sieg berichteten. Dann gingen sie gemeinsam weiter. Andere schlossen sich der gruppe an. Einige fingen an zu tanzen. Dem geräusch nach waren sie nur ein oder zwei blocks von einem größeren platz und einer großen und lautstarken menge entfernt, als vor ihnen eine einheit berittener zwischen häusern hervor stürmte und ihren weg kreuzte. Die gruppe, der er sich angeschlossen hatte, rannte los, ohne viel lärm zu machen, den soldaten hinterher. Die armee war gekommen. Auf den höhen östlich des zentrums würde sie ihre geschütze in stellung bringen und die horde unter beschuss nehmen. Toads sah den männern und frauen und kindern nach, die in richtung des platzes von einer staubwolke verschluckt wurden. Um ihn her kehrte ein moment der ruhe ein. Dann fing der straßenbelag an zu beben und der donner kam, rollte wie ein stählernes pferd über ihn hinweg. Toads fühlte seine magengegend wie von einem rammbock getroffen, knickte ein und landete mit händen und knien auf dem pflaster. Die geräuschkulisse hatte sich in ein einziges fiependes pfeifen verwandelt. Den puls dessen, was darunter lag fühlte er durch den straßenbelag hindurch. Das dunkle herz. Mit jedem pulsieren flackerte seine umgebung auf wie in einem stroboskop. Anstatt häuserwände und straßenbelag sah er bei jedem aufleuchten stahlröhren, die sich wie blutgefäße verzweigten, dampfkessel aller größen und unzählig viele zahnräder, die mit teuflischer präzision ineinander griffen wie tänzer in fracks und gebauschten röcken bei einer großen gesellschaft. Die schlote am horizont, die schächte und tunnel unter ihm, bis in die heißen schichten des erdinneren reichend, die ihrer fassade entblößten konstrukte zu allen seiten offenbarten mit jeder blitzartigen erleuchtung, dass sie ein einziger gemeinsamer organismus waren. Die stahlstadt, das rädermonster, ein mechanischer, von dampf angetriebener leviathan. Sie waren längst alle teil davon. Toads überkam diese erkenntnis mit eiseskälte: Sie alle, arbeiter, polizisten, bonzen, die soldaten, selbst die stadtstreicher waren nur teile, letztlich nichts anderes als zellen und bakterien. Und was war mit ihm selbst?

Das flackern vor seinen augen, das pulsieren in seinen knochen wurde schwächer, das fiepen in seinen ohren zu hintergrundrauschen, als sich andere geräusche ihren weg durch seine verschütteten hörbahnen zu graben begannen. Toads fand sich am rande eines granatentrichters. Das projektil hatte nur schritte von ihm entfernt eingeschlagen, die explosion ihn mit schutt und staub bedeckt. Bis auf den schock in seinen knochen war ihm wie durch ein wunder nichts geschehen. Er stand auf, klopfte seine kleidung ab und stapfte weiter. Das nachbild seiner offenbarung lag noch wie ein schleier auf allen oberflächen. Die orientierung hatte er verloren. Er ging und ging, durch men­schenleere straßen und stolperte schließlich auf den eingang einer kellerkneipe zu, die er von früher her wiedererkannte. Ein paar treppenstufen abwärts die rote tür. Cloak&dagger hieß die kneipe. Underground. Geöffnet. blauer rauch und blauer jazz. An einem klavier saß ein schwarzer mit vollbart im mittleren alter, zigarette im mundwinkel, ein gewehr über der schulter und spielte mit über die tasten schwankenden, stolpernden fingern. Eine flasche wein und ein halbvolles glas daneben. Auf dem klavier und auf den tischen, überall lagen handgranaten und pistolen, flugblätter und zeitungen, weintrauben und weißbrot. Toads erkannte einen fernmeldeapparat, dynamit, fernzünder und dazugehöriges kabel, etwas in französisch war an die hintere wand geschrieben. Darunter saß ein soldat, mit seil gefesselt auf einem stuhl und schaute unter seiner uniformmütze stoisch grimmig zu ihm herüber. Neben ihm lag eine flagge der armee wie ein tischtuch auf eine kiste oder niedriges regal drapiert. Der pianist schaute ihn an, ohne sein spiel zu unterbrechen. Sein tanz über die tasten war halsbrecherisch aber beschwingt. In der scheinbaren unbeholfenheit lag eine virtuose präzision. Wie in einem stück emotionaler sprache, grammatik und wortsinn knapp unterhalb der schwelle des bewusstseins. Toads wusste, wohin das führen würde. Stratocaster und verzerrer, Rock’n’roll, beat, acid, sich selbst entzündende mönche, das alles schwang hier schon mit, lag zwischen den zeilen. Das stück kam schließlich zum ende. Der mann ließ es ausklingen und wandte sich dann auf seinem hocker toads zu, der mit dem rücken gegen die tür lehnte.
„Setz dich und trink was. Siehst aus als könntest du’s brauchen.“
Der mann stand auf und ging zu dem tisch, der dem eingang am nächsten war, schenkte sich selbst ein glas roten ein und leerte es in zwei zügen, wobei ihm etwas von dem wein am kinn hinab lief und von der bartspitze tropfte.
„Ist die hölle da oben“, und reichte toads die flasche. „Zeit sich alternativen zu suchen.“
Toads nahm die flasche entgegen, setzte sie an und fühlte die erhoffte schwere in sich hineinfließen. In seinem magen angekommen breitete sich wärme wie der rauchpilz einer großen zerstörung in ihm aus.
„Ich kenne dich von früher. Du bist hier resident, oder?“
„Jep“, meinte der schwarze, „Bin schon ein paar jahre hier. Hab dich hier auch ab und zu gesehen – unter anderen umständen.“
„Ich wusste nicht, ob ihr geöffnet habt, hätte es auch nicht erwartet. Das hier ist aber das einzige, was mir da draußen bekannt vorkam.“
„Ja. Hat sich verändert der ausblick.“ Er lachte grimmig. „Ist aber alles schon mal passiert. Weißt du ja bestimmt. Und auch nicht – weil es anders ist. Eigentlich total retro, aber ganz anders.“
Er strich sich durch den bart, zog noch einmal an der zigarette, ließ sie auf den boden fallen, nur um sie dann schnell mit dem fuß von den dynamitstangen wegzuschieben und auszutreten. Er grinste toads an.
„Da sollte man aufpassen.“
Toads‘ blick schlich zu dem soldaten hinüber. Den hatte er inzwischen als offizier irgendeines spezialkorps identifiziert, irgendetwas über dem leutnant. Der pianist folgte seinem blick und meinte: „Die ratte hat sich verlaufen. Hat er jetzt davon.“
Als er sich toads wieder zu wandte, lag ein gefühl in seinen augen, das der nicht recht zu deuten wusste.
„Ich bin der mönch. Nennen mich alle so.“
„toads.“
Die beiden gaben sich die hände. Dann fing der mönch an, dynamitstangen und pistolen in seinen gürtel zu stecken.
„Du meinst, das hier ist eine wiederholung? Nur nicht so wie das origi­nal?“
„Ja, die maschine tickt jetzt schneller. Und sie wird noch schneller ticken, bevor alles vorbei ist. Und da hat sich die fünfte note eingeschlichen. Deshalb läuft das jetzt anders.“
„Ich habe da draußen etwas zu sehen bekommen. Das… es ist auch hier, es ist überall.“
„Die WUM meinst du?“ der mönch verstaute gerade den fernzünder samt kabel in einer schwarzen umhängetasche, die bereits zur hälfte mit munitionsschachteln gefüllt war. „Das ist die maschine, wenn du überhaupt etwas gesehen hast. Aber dir trau ich’s zu.“
„Es war eine maschine was ich gesehen habe. Die ganze welt ist eine und wir sind teil davon, oder teil von etwas, was aussieht wie eine maschine, aber in wirklichkeit ist es mehr. Es ist ein wesen, ein leviathan.“
Der mönch schaute ihn wissend an und schulterte dabei ein gestell mit riemen, das in der ecke neben der tür gestanden und das toads bisher übersehen hatte. Es sah aus wie ein tank, an dem an der seite ein schlauch angebracht war, der vorne in einer konstruktion auslief, die der mönch jetzt an arm und hand befestigte. Dann setzte er noch eine schutzbrille mit runden gläsern auf
„Ist das ein flammenwerfer?“, fragte toads.
„Bingo, genosse!“
Toads stand instinktiv von der letzten treppenstufe auf, auf die er sich gesetzt hatte. Dynamit und benzin. Jetzt fehlte nur noch ein funke.
„Es ist die WUM, sag ich dir. Die welt. Die welt ist eine maschine. Und die ist ihr eigener untergang. Die weltuntergangsmaschine.“
Ein kurzer flammenstoß schoss aus der mündung.
„Ah, das drecksding funktioniert“, brummte der mönch, „wäre besser, du öffnest schon mal die tür“, was toads schon getan hatte, „jetzt kommt der punk!“
Der mönch stieß den arm in richtung des offziers und seine zur kralle gespreizte hand wurde zum maul eines feuerspeienden drachen. Toads hörte das schreien des gefangenen, während er sich rückwärts durch den eingang nach oben auf die straße bewegte und sich das cloak&dagger zum inferno verzerrte. Der mönch kam daraus wie der herr der flammen hervor, mit versengtem bart und gebleckten zähnen. Dazwischen klemmte eine neue kippe, die er an der zündflamme seiner höllenmaschine ansteckte.
„Falls du dich entschließt mit mir zu kommen, bleib bloß auf der seite der straße, halt abstand. Diese dinger gehen manchmal nach hinten los.“
Toads wusste zwar nicht, wozu genau er dem teufel folgen sollte, aber aus den worten des mönchs hatte er wahrheit herausgehört und wohin sollte er auch sonst gehen? Er folgte dem mann in richtung des zentrums, von wo noch immer der lärm einer menge leute zu hören war.

Das war wie die aufgeschäumte see und sie gerieten mitten hinein. Sobald sie den gezackten saum der masse erreicht hatten, erfasste sie ein sog, zog sie hinab und wieder aufwärts auf einen der wütenden wellenkämme, der sich selbst aus einem block schwarzer und roter fahnen heraus wie ein fallbeil in das blau und grau der anderen seite grub. Auf einmal war nichts mehr mit abstand halten. Der leviathan hatte den explosiven mönch ganz einfach bei den haaren gepackt und ihn dorthin bugsiert, wo er am meisten menschenleben in gefahr brachte. Und toads ritt auf demselben tiger und hoffte, dass er bei der sache nicht einfach versehentlich starb, ohne überhaupt etwas getan zu haben, ohne mehr getan zu haben als nur zu beobachten. Er hoffte, dass überhaupt jemand einen plan hatte. Zumindest bewegte sich jetzt alles auf einen ort zu. Die hauptpost. Das nationale symbol, in das sich die militärs zurückzuziehen begonnen hatten, weil sie so langsam realisierten, dass sich der mythenhafte mob auch von tausend mal tausend toten nicht einschüchtern, sich nicht einfach mit granaten zerschlagen lassen würde. Das hier war eine naturkatastrophe. Bestimmt wären viele der soldaten bereit, ihre gewehre fallen zu lassen und die flucht zu ergreifen, andere allerdings, vor allem die höheren ränge, aber auch solche aus den niedersten, die hofften einmal zu den oberen zu gehören, oder vielleicht beamte bei der reichspost oder der bahn oder bei sonst was staatlichem zu werden, achteten schon darauf, wenn es sein sollte mit dem bajonett, dass die einheiten beisammen und die mündungen in die richtige richtung gerichtet blieben. Es sah so aus, als ob es hier zu einer entscheidung kommen sollte, zumindest für den heutigen tag. Toads blieb an dem mönch dran. Vielleicht nur, weil er glauben wollte, dass der einen plan hatte. Dem flammenwerfer war leicht zu folgen. Die aufständischen hatten waffen, mit denen sie nester von heckenschützen aushoben, bisher waren benzintank und dynamitstangen wundersamerweise von kugeln verfehlt worden. Wie lange mochte dieses glück noch anhalten? Der mönch bewegte sich immer vorsichtiger, immer mehr wie ein einmanneinsatzkommando, verwandelte blauröcke mit pickelhauben in menschliche fackeln. Vor toads augen verwandelte sich das versammelte proletariat in eine echte armee. Der sturm auf das postamt organisierte sich zusehends. Während die geschütze weiter den platz vor dem gebäude bombardierten, zerfloss die menge in abteilungen. Die maschine tickte schneller. Züge besetzten eilig ausgehobene schützengräben, trupps bemannten erbeutete gatling-guns. Eine hoffnungsvolle zukunft starb ihren tod im stahlhagel und der fortschritt beschleunigte das sterben mit wolken von giftgas. Die soldaten die die zugänge zur hauptpost besetzt hielten wurden überrannt. Der mönch brannte sich seinen weg durch das haupttor und toads folgte ihm. Als er einen letzten blick nach draußen warf, sah er wie das durchwühlte aschgrau des himmels von titanenhaften projektilen durchbohrt wurde, die sich als von propellern angetriebene luftschiffe entpuppten. Die auseinandersetzung hatte die dritte dimension erobert. Erste Bomben fielen herab. Toads wendete sich ab. Das miniaturschlachtfeld der eingangshalle war voller menschen. weit vorne sah er den mönch, der gerade seine apparatur vom rücken losschnallte und sie an einen anderen mann weitergab. Und dann sah es so aus, als ob ihn der marmorboden verschlang.

Als toads dort ankam, wo der mönch verschwunden war, sah er, dass an dieser stelle ein kreisrundes loch im boden gähnte. Der dazugehörige deckel, wie der einer kanalabdeckung lag nebendran. Der mann, dem der mönch den flammen­werfer gegeben hatte, war noch dabei, das gerät anzulegen und toads legte hand an, um ihm dabei zu helfen.
„Wo ist er hin?“, fragte er
„Er ist da runter“, antwortete der andere mit schwerem akzent. Der kerl war ein halbriese und kam offenbar aus dem zarenreich. „er sagt, sie führen da unten etwas im schilde.“
Toads schnallte die konstruktion am arm des mannes fest, wie er es den mönch hatte tun sehen, und ging dann auf die knie runter, um in das loch zu se­hen. Unten war es dunkel, aber an der seite erkannte er eiserne haken, die als leiter dienten. Er stieg hinab. Als er boden unter den füßen spürte, war es so finster, dass er sich unsicher an der wand entlang tastete.
„Mönch!“, rief er in die dunkelheit.
„Sei still“, kam die antwort und die abdeckung einer laterne wurde beiseitegeschoben. In ihrem licht sah toads den mönch und einen kleineren mann, der die lampe hielt. Ein chinese, mit langem, spitz auslaufendem schnurr- und kinnbart, einer runden kappe mit knopf oben drauf und in einem hochgeknöpften chinesischen hemd und weiter hose, wie aus einem wushu­film.
„Das ist meister wong“, sagte der mönch, „Meister wong, das ist toads.“
Beide verbeugten sich kurz voreinander, dann sagte meister wong: „Seh efreut, meiste toads. ich bin die gelbe gefah“, und kicherte dann, wobei er sich mit der freien hand in klassischer geste über den bart strich.
„Meister wong hat lange in einem bergwerk gearbeitet, kann uns hier unten bestimmt nützlich sein, einen kumpel dabei zu haben. Was hältst du ei­gentlich davon, wenn du wenigstens eine pistole nimmst?“
Er hielt toads eine seiner waffen hin und toads nahm sie an. Das ding war schwer. Er schaute es an wie einen frosch, der ihm aus dem nichts auf die hand gesprungen war, blinzelte dann und untersuchte sicherungshebel und magazin. Das war leichter als er gedacht hätte. Er schaute den mönch an und meister wong. Sie nickten sich zur bestätigung zu und machten sich auf den weg. Toads musste nicht erst fragen, was sie hier unten suchten. Was er nach, oder vielleicht wegen des einschlags der granate vor ein paar stunden gese­hen hatte, schimmerte hier unten ganz deutlich durch. Zwischenzeitlich hatte er es aus den augen verloren. Die fassade hatte sich wieder darüber gescho­ben, aber die dunkelheit hier schien eine eigene leuchtkraft zu haben, die das bloßlegte, was im tageslicht normalerweise verborgen war. Genau wie das all mit seinen sternen und galaxien und seiner ganzen unergründlichen tiefe. Die frage die bestehen blieb, war, wem würden sie hier unten begegnen? Wer un­terhielt die schwarzen gänge, die in toads augen leitungen für energie und in­formation waren, die die maschine verarbeitete. Für mit großer wahrschein­lichkeit vorhandene wartungsfunktionen wären sie hier absolut fehl am platz, vielleicht sand im getriebe, eher noch bugs, die es zu entfernen gälte. Wer wa­ren „die“, von denen der mönch geredet hatte, „die“, die was auch immer im schilde führten. Toads musste an von vielen generationen übergreifendem mangel an sonnenlicht erbleichte morlocks denken, die sich wie termiten durch die gänge bewegten und von zeit zu zeit an der oberfläche auf jagd nach zweibeinigem frischfleisch gingen. Es gäbe einen könig der morlock der alle höheren gehirnfunktionen übernahm und demnach müssten sie diesen ausfindig und unschädlich machen, um die oberwelt von ihrem joch der skla­verei und die menschheit von ihrem dasein als unwissende viehherde zu befreien. Wahrscheinlich kam das der wahrheit, der sie auf der spur waren, sogar gefährlich nahe. Raub­tierkapitalismus fiel ihm als stichwort dazu ein. Die waffe fühlte sich bei dem gedanken in seiner hand immer besser, immer richtiger an.

Nach einigen abzweigen und kilometern machten sie halt, als der gang an ei­nem schott wie aus einem unterseeboot endete. Toads hatte sich schon ge­fragt, wie seine begleiter den richtigen weg erkannten. Wie eine suche war es ihm eigentlich nicht vorgekommen. Meister wong war ihnen immer voraus ge­gangen. Vielleicht folgte er ja einem gespür, das er untertage entwickelt hat­te, wie eine ratte, die zielsicher ihren weg aus einem irrgarten oder zu einer futterquelle findet. Vielleicht hatte er aber auch einen plan, von dem toads nichts wusste. Das schott wies ein stilechtes rad als bedienelement auf, außer­dem waren konzentrisch um das rad herum und auf der einfassung des schotts mathematische symbole angeordnet. Toads hätte damit nichts anfan­gen können, aber meister wong nahm seinen rucksack vom rücken, aus dem wie toads jetzt im schein der laterne sehen konnte ein bündel holzstäbe ragte und holte daraus ein notizbuch hervor, schlug es auf und schien seinen inhalt mit dem zu vergleichen, was auf dem schott zu lesen war. Er und der mönch schauten einander kurz an. Der mönch nickte meister wong zu und der fasste das rad mit beiden händen, drehte es in eine richtung, bis man ein klicken hö­ren konnte, schaute wieder in sein buch, drehte erneut, diesmal in die andere richtung und etwas weiter, es klickte erneut. Nach mehrmaligem hin und her und wiederholtem klicken leuchteten die symbole von innen heraus in schnell heller werdendem blauweißem licht auf. Gleichzeitig schwoll ein ton aus dem infrabereich herauf, gipfelte in einem schlagartigen mechanischen klack und wich dann dem geräusch eines eingesaugten luftstroms, den toads auch an kopf und händen spüren konnte. Ihm war von dem tiefen basston schlecht ge­worden, und als das schott jetzt zur seite schwang, hatte er das gefühl, den halt am boden zu verlieren und kopfüber in das vor ihm aufgesperrte maul zu stür­zen. Er fing sich wieder und musste dabei an ein raumschiff denken, das un­terirdisch von extraterrestrischen wesen mit unheilvollen absichten erbaut oder nach seiner landung verborgen oder im lauf von jahrtausenden unter dem schutt vergangener hochkulturen begraben worden war. In diesem mo­ment entschloss sich toads, keine fragen zu stellen, einfach deshalb, weil ihm selbst zu viele antworten einfielen: der tartaros, die büchse der pandora, ei­nes der tore zur hohlwelt, der versiegelte eingang zu einem bunker, in dem die abkömmlinge einer vergangenen welt in sicherheit vor einer todbringen­den umwelt darauf warteten, dass ihre zeit käme, die erdoberfläche neu zu be­siedeln, ein silokomplex, in dem weiterentwickelte v2-raketen, mit hochpoten­ten kampfgasen bestückt, aufgestellt waren und nur gezündet werden muss­ten, damit die menschheit den weg zurück in die steinzeit fand. Seine gefähr­ten waren schon auf der anderen seite und toads folgte ihnen.

Die wirklichkeit ist doch immer überraschend, dachte toads. Selbst wenn er gefragt hätte, was vor ihnen lag, hätte ihn die antwort nicht auf das vorberei­ten können, was er mit eigenen augen zu sehen bekam. Kein u-boot, keine un­terirdische stadt, auch kein raumschiff, eher schon das innere eines luft­schiffs, nach allem, was er mit dem tatsächlichen anblick vergleichen konnte. Ein riesiger zylinder erstreckte sich vor ihnen. Runde wände zu den seiten, die sich einige dutzend meter über und unter ihnen trafen und über die ein flirren elektrischer entladung gewitterte, die das artefakt in kaltem flackern erleuch­tete und schatten tanzen ließ, die von metallenen verstrebungen, plattfor­men, leitern, von halblichtdurchlässigen ebenen und kränen, paternostern, konsolen, rädern und klauenförmigen konstrukten geworfen wurden. Von ih­rem einstieg aus führte eine stahltreppe hinab. Von unten wirkte die halle ebenso gigantisch, die streben aus messing und stahl ragten über ihnen auf wie urwaldbäume, kreuzten einander wie die schienen eines dreidimensiona­len eisenbahnnetzes. Der etwa drei meter breite gang aus metallplanken, der vor ihnen lag, führte über gruben, die mehrere meter tief hinab reichten und voneinander durch bleche abgetrennt wurden, die in regelmäßigen abständen rechteckig oder rautenförmig verbunden waren. In diesen gruben sah toads das zittern der kaltweißen elektrizität wie aale oder schlangen sich winden. Seine begleiter fühlten sich dabei offensichtlich genauso unwohl wie er. Wie man sich fühlt, wenn man unversehens in ein reptilienhaus stolpert. Der ech­sengeruch wurde von dem nach ozon und versengtem metall ersetzt. Aus ein­zelnen gruben stiegen wolken von bleichem dampf auf, begleitet von zischlau­ten, die der phantasie nur noch deutlichere bilder von urzeitlichen wesen ent­lockten. Wesen, die kaltblütig in löchern hausend auf den unvorsichtigen schritt ihrer beute lauschen. Ihr sichtfeld war hier so stark eingeschränkt, dass toads das unbestimmte gefühl von gefahr wie kalte nässe in die knochen drang. Seine hand umklammerte feucht und schreckhaft den griff der pistole. Fremdartig war ein zu schwacher ausdruck für diesen ort. Sie kamen an den rand eines schachts, dessen tiefe sich in zunehmender dunkelheit verlor und an dem eine wendeltreppe sich wie ein schraubgewinde nach unten drehte. Aus den tieferen frequenzbereichen drang ein ungutes brummen und tuckern durch das metall, dazu war der puls jetzt nicht mehr nur zu spüren, sondern unterlief die anderen geräusche wie eine basspauke. Wenn sie hier in einem der kapillare der maschine waren, fragte sich toads, womit der hunger des leviathans gestillt wurde. Mit diesel oder kohle? Mit menschenfleisch? War sie elektrisch oder dampfbetrieben? funktionierte sie mechanisch oder okkult? Sicher, für toads wäre jede maschine von einiger komplexität okkult gewesen. Das gefühl einer präsenz war so deutlich, dass er bereit war, etwas organisches zu erwarten, vielleicht halb metall und halb fleisch, maschinenöl zusammen mit blut durch die röhren fließen zu glauben und dazu ein gehirn, das aus mehr als zwei teilen bestand, in nährlösung, in allumgreifenden gedanken pulsend, ein gehirn, das die welt selbst enthielt und daran herumfeilte wie an einem teuflischen plan. Es ging auf das dunkle herz zu, das toads schon bei dem blick aus seinem fenster hatte schlagen hören. Das dunkle herz, das rauch aus allen häusern aufsteigen ließ, das die schlote über der stadt wie heuschreckenschwärme ruß ausspeien ließ. Das schwarze herz eines gottgleichen tieres, das im abgrund hauste und seinen schwarzen atem als schatten über land und städte warf.

Während des abstiegs dachte toads darüber nach, wie es sein konnte, dass das herz der welt eine maschine, oder besser noch, dass die welt selbst eine maschine war. War sie das seit an­beginn gewesen? Der planet konnte selbst ein raumschiff sein, ein artefakt, das dazu geschaffen worden war, durchs all zu fliegen, oder hatte er sich erst in eine maschine verwandelt? Toads stellte sich ein samenkorn aus technolo­gie vor, eines, das keimte, sobald es die richtigen bedingungen dazu fand, eine zivilisation, die auf wachstum angelegt war und sich nicht scheute, ihre res­sourcen restlos aufzubrauchen. Vor seinen in dem zunehmenden dunkel des abgrunds versinkenden augen leuchteten schwelende kohlenbrände auf, die sich von stollen zu stollen, von bergwerk zu bergwerk fraßen und ein glühen­des netz um und durch den erdball woben, sich mit der hitze des planeten­kerns verbanden, ein feuerball, ein letztes aufflammen und dann das eindrin­gen der kosmischen kälte. Wenn die maschine nicht von anfang an existiert hatte, dann existierte sie dadurch, dass sie nach und nach alles sie umgeben­de in sich aufnahm und in ihre dunkle tekne überführte. Meister wongs later­ne schaukelte voran, der eisenpfad drehte und drehte sich, eine scheinbar un­endliche spirale abwärts, immer abwärts. Für den von fremdartigkeit getrüb­ten sinn für entfernung konnte es sein, dass sie bis zum kern der erde selbst vordrangen. Die präsenz, die sie spürten wurde intensiver und bedrohlicher. Das schwache licht zeigte an, wo sie den schacht selbst hinter sich ließen, von wo an die treppe nunmehr frei in der leere hing, nur von drähten gehalten und schwingend, worauf der gleichgewichtssinn empfindlich und mit aufkeimen­der panik reagierte. Mit jedem schritt sang das eisen, kündigte sie dem ab­grund und der leere an. Bis sie das ende mit der letzten stufe erreichten. Lei­ses ticken und surren kam von überall her, dazu noch der durchdringende puls. Sie traten auf einen untergrund, der aus stahlseilen und dickeren tauen geschnürt schien, wie ein wulstiger knoten, der sich rhythmisch in sich zusam­menzog, also ob jemand ihn von innen her zu lösen versuchte. Meister wong stellte die laterne ab und holte ein rechteckiges bündel aus seiner tasche, dar­aus zog er einen vielfach gefalteten bogen papier, fing an ihn auszubreiten. Der kleine mann hatte tatsächlich eine karte. So eingeschüchtert wie toads sich durch seine umgebung und ihren grausamen abstieg fühlte, war eine kar­te etwas wunderbares. Sie hatten wirklich einen plan. sie waren selbst die­jenigen, die etwas im schilde führten und vielleicht etwas gutes bewirken konnten. Alle drei beugten sich über die karte, auf der toads nichts weiter er­kannte als ein wirres knäuel, einen gordischen knoten, der krakenhaft in pseu­dopoden auslief, die ihn wie eine aus schlangen geschnürte schwarze sonne aussehen ließen. Auf der karte war alles nummeriert, mit pfeilen und kurven und kryptischen abkürzungen versehen. Für toads sah die karte, so technisch sie zugleich wirkte, aus, als ob sie einem verbotenen buch voller den geist ver­zerrender riten eines archaischen kultes entstammte, dazu gedacht, einen gott des abgrunds, ein das leben selbst verachtendes sternenwesen zu be­schwören. Meister wong deutete mit gestrecktem zeigefinger auf einen teil der karte, tauschte einen blick mit dem mönch und fing dann an, das papier wieder zusammenzufalten. Da kam etwas mit mechanischem surren aus der dun­kelheit auf sie zu. Meister wong steckte die karte ein und richtete den lichtke­gel seiner laterne auf das geräusch.

Das konstrukt schnurrte zielgerade auf sie zu, so groß wie ein troll, mit stählernen muskeln bepackt, überlange gorillaarme, davon einen wie zum faschistengruß mit gestreckter hand ausgestreckt. der blanke kugelschädel saß zur hälfte zwischen den schultern, daraus leuchtete rot ein schmaler schlitz. An­statt beinen besaß es zwei räder aus blech, auf denen es wie ein losgelassener wecker heransauste. Eine absurde erscheinung. Das wäre der passende moment für den auftritt eines sinistren superhelden gewesen, dachte toads, und noch be­vor er auch nur die waffe gehoben hatte, um einen schuss auf das monster ab­zugeben, feuerte der mönch bereits zum zweiten mal mit langem mündungs­feuer aus dem sturmgewehr präzise auf den kopf, sprang meister wong wie von einem sprungbrett auf das konstrukt zu, drehte sich im flug und setzte einen gestreckten tritt in seinen nacken und kam auf der anderen seite zum stehen. Das ding wendete sich ihm zu, ohne dabei abzubremsen. Toads sah in sei­nem rücken zahnräder und einen großen aufziehschlüssel, wie bei einem spielzeug, der sich propellerartig drehte. Mehr von seiner art kamen aus dem dunkel auf sie zu. Der mönch feuerte kurze salven in verschiedene richtungen, meister wong versetzte dem ersten automaten faust- und handkantenschläge, tritte und kniestöße, wobei er um seinen gegner herum zu tanzen und zu schweben schien. Toads hätte nicht gewagt, in das handgemenge zu schießen und feuerte stattdessen dreimal ohne recht zu zielen auf ein anderes konstrukt, das genauso aussah wie das erste. Die skurril gestreckte metallhand schien die projektile aus der luft zu fangen, was sich in davon aufsprießenden funkensträußen äußerte. Der mönch fasste toads im genick und trieb ihn nach vorn, wo sich meister wong befand und um den nahkampf herum, aus dem sich der kleine mann gerade löste. Wong nahm abstand und als toads halb rennend, halb geschoben sich umschaute, zog er einen satz sylvesterraketen und ketten kleiner böller aus der tasche, ging in die knie und entzündete eine lunte an der laterne. Während sie weiter liefen, zischten die ersten raketen los, schleuderte wong feuerwerk, das noch in der luft zu krachen anfing, und sprang dann mitten hinein in ein chaos aus farben und schwarzpulverrauch. Der mönch hatte toads irgendwann losgelassen und eine elektrische stablam­pe ausgepackt. Beide sahen gerade genug, um nicht in das loch zu fallen, das vor ihnen wie eine durchtrennte arterie aus dem wulstigen boden lugte. Der mönch machte sich hastig daran, dynamitstangen mit zündkabel zu verschnü­ren und die bündel in falten um das loch herum zu verteilen. Dann sprang er, fernzünder und kabelrolle unter dem arm, gewehr in der anderen hand, kur­zerhand hinein. Toads riss die augen auf, schaute sich nach den automaten um, sah nur vielfarbiges licht, dann zwang er seine beine, sich zu bewegen und folgte dem mönch hinein in das schwarze herz.

Sein fall wurde bald aufgefangen und er geriet ins rutschen. Die röhre führte ihn in mehreren drehungen links und rechts herum, dann landete toads in rückenlage in einer kammer, die der mönch mit der stablampe ausleuchte­te. Es sah wirklich wie das innere eines herzens aus, jedenfalls der form nach organisch, wenn auch aus metall. Mehrere enge tunnels gingen von der kam­mer aus und der mönch steckte seinen kopf in einen davon, drehte sich dann zu toads um und wies auf den fernzünder, der nebem ihm stand.
„Wenn da was runter kommt und es nicht die gelbe gefahr ist, jagst du es hoch. Ich hab hier drin was zu tun.“
Er war schon verschwunden, als toads den mund aufmachte, um zu fra­gen, was das sei. Jedenfalls hatte es nichts mit sprengstoff zu tun. Das biss­chen dynamit hätte diesem monstrum von maschine sicher ohnehin nichts an­haben können. Ihm fiel auf, dass er kein licht hatte und inmitten eines schwar­zen herzens ohne licht zu sitzen, gefiel ihm überhaupt nicht. Ohne augen blind spürte er nur, wie sich das ding um ihn herum abwechselnd verkrampfte und entspannte. Er zählte die sekunden zwischen den schlägen. Obwohl die ab­stände immer noch so über die minute verteilt waren, dass genug zeit blieb, dem ausrollen der frequenzen nachzuspüren, selbst wenn die beschleunigung mit jedem schlag nur den bruchteil einer sekunde betrug, die maschine tick­te schneller, als ginge sie auf ein ziel zu, als zählte sie selbst auf die null her­unter. Ein anderes geräusch ließ ihn die luft anhalten. Etwas dort oben, wo die dynamitladungen auf sein signal wartete. Toads atmete auf, als er die stimme von meister wong hörte, der „ich bin’s!“ rief und kurz danach rutschend, mit der laterne auf dem bauch in der kammer ankam. „alles klah da oben.“ der mann grinste breit, zückte triumphierend den aufziehschlüssel eines der auto­maten und fing dann sofort an, das dynamit, das er oben eingesammelt hatte, in den verschiedenen ausgängen der kammer anzubringen. Sie folgten dem mönch, zumindest vermutete toads, dass es so war, und gerieten schnell auf so labyrinthische pfade, als wären sie in einem bau staatenbildender kaninchen unterwegs. Meister wongs licht schwankte wie ein suchscheinwerfer hin und her, illuminierte immer fremdartigere oberflächenstrukturen, metalle unterschiedlichster schattierung und feines geäder von kristall oder durch transparentes material glimmende flüssigkeit von funkelndem rot bis zu gleißendem blauweiß, ektoplasmisches grün und wolfsaugengelb. Dazwischen leitungen und schaltungen, ketten und relais und hinter allem das rattern und tackern von rädern, ineinander verzahnte krakenarme und dunkel feuernde augen, darin sich spiegelnd ein meer voller erkalteter sonnen, ein zitternder, bebender sternenleib. Im strahl der laterne fing sich eine krallenhand, ausgestreckt um zu fassen, zu zerreißen, ein im blitz gefangener mordanschlag aus dem anderen reich. Meister wongs laterne fiel, schepperte blechern, ein knall von beschleunigter luft. Das brechen von knochen wie knickendes holz und ein unterschwelliger chischrei. Als wong die laterne wieder aufnahm und damit den am boden liegenden angreifer beleuchtete, sah toads dessen hals im falschen winkel abzweigen, tot. Der kopf, kahl und fahl, ohne ohren, stattdessen grobe nähte, ebenso augen und mund mit drähten zugenäht. Die hände erinnerten toads an die zangen und mandibeln von insekten. Wenn das einmal ein mensch gewesen war, hatte sich ein grausames geschick als fleischmechaniker an ihm zu schaffen gemacht und ihn in ein groteskes werkzeug verwandelt.

Wong zog sich von dem anblick zurück, drängte toads in einen tunneleingang, der gleich hinter ihnen ins dunkel schaute, zwang ihn mit einem griff in den nacken in die knie und stellte den fernzünder auf. Er entsicherte den auslöser und drückte ihn hinunter. Die explosion machte die ozonüberladene luft erbeben, dann rollte eine welle von donner heran, eine flut, die sich durch enge kanäle presst. Das sie umgebende wesen reagierte mit konvulsivischem zucken und mit aufgescheuchten arbeitsdrohnen, die als geschäftige meute an ihnen vorbeitrabten. Zu viele, dachte toads, um ihnen allen die hälse umzudrehen. Als die herde an ihnen vorüber war, eilten sie weiter. Sie passierten mehrere kammern, die für toads kaum zu unterscheiden waren, aber wong schien den plan wie eine fotografische platte in seinem gedächtnis archiviert zu haben. Immer deutlicher drängte sich toads die frage auf, was er hier eigentlich machte, wozu er eigentlich hier war. Hatte er denn eine andere aufgabe, außer bloß zeuge der ereignisse zu sein? Etwas, ein rohr oder kessel, platzte auf und kochendheißer dampf schoss auf die beiden zu wie ein böser dschinn aus einer flasche. Wong schob sich schützend zwischen toads und die wolke. Toads spürte die todbringende hitze, hörte wongs schrei über dem dämonenhaften fauchen und überlebte. Die heiße luft war verpufft. Nur ein schmaler strahl bleichen nebels entwich noch dem leck aus dem der tod gesprungen war. Ein paar kleinere verbrühungen begannen seine haut zu quälen, aber sein retter hatte die ganze wucht der entladung abgefangen. Meister wong lag verkrümmt und ächzend vor ihm. Die laterne legte faustgroße blasen bloß, die sich von seinem kopf, von händen und armen abhoben. Das gesicht des kleinen mannes verformte sich zur mutantenfratze eines opfers atomarer strahlung. Toads‘ entsetzen ließ ihn erstarren und hilflos mitansehen, wie wong krampfhaft luft holte und mit seinem letzten ausatmen die schmerzverkrampfte hand und sich häutenden zeigefinger in richtung eines tunnelabzweigs ausstreckte. Toads fühlte die sekunden pochen wie die letzten lebenszeichen einer uhr. Die maschine hatte sich gewehrt, heimtückisch, effektiv, unpersönlich. Er durchbrach seine starre und folgte dem fingerzeig des toten. Wie hätte er jemals den weg allein finden sollen, wenn wong nicht gewesen wäre? Weiter auf gerader linie den gang hinunter fand er den mönch kopfüber bis zur hüfte in der wand steckend. Drähte und aufgerissene isolierung bildeten eine fransige öffnung, aus der sich der schwarze jetzt zurückzog. Vielleicht hatte er toads kommen hören, zumindest schien er nicht überrascht, als er ihn ansah, ihm zunickte und sich wieder dem ding in seinen händen zuwendete.
„Hat es also nicht geschafft, der arme kerl. Siehst du das hier?“ Er hielt toads hin, woran er sich zu schaffen machte, eine platine, die durch mehrere kabel mit dem fleisch der maschine verbunden war. „Das verdammte teil sorgt dafür, dass die reaktion immer stärker ausfällt als die aktion. Eine art rückversicherung. Solange das funktioniert wie es gedacht ist, wird es nach jeder revolution nur noch schlimmer als vorher. Der totale beschiss.“ Der mönch lachte böse und fing an, die kabel aus ihrer verlötung zu zupfen, wie jemand, der fliegen die flügel ausreißt. „Ab sofort hat das was wir tun wenigstens einen sinn.“
Als er alle verknüpfungen entfernt hatte, zerbrach er die platine und ließ ihre teile in seinen großen händen verschwinden und sah dabei aus wie ein bühnenzauberer, der sein publikum einer illusion aufsitzen lässt.
„Was mache ich hier?“ fragte toads, „wozu habt ihr mich mit hierher genommen?“
Der mönch hob sein gewehr vom boden auf, schulterte es und ging auf toads zu. „Hier treffen sich mehrere welten auf einem strang. Kannst von hier aus praktisch überall hin. Dachte, du magst vielleicht was anderes ausprobieren. Hab dir gleich angesehen, dass das hier nicht dein ding ist, nicht deine wirklichkeit. Der failsafe war für alle welten zuständig, also ist es egal, wohin du von hier aus gehst, wird jetzt überall anders laufen als bisher.“
Im vorbeigehen klopfte er toads auf die schulter und stapfte in die richtung, aus der sie gekommen waren.

Toads fand seinen eigenen ausgang. Das erwachen war mühsam wie der weg durch zähflüssigen schlamm. Aber es fühlte sich an, als ob es aufwärts ging. Er durchbrach die schwelle zum bewusstsein, hatte von sich selbst vor seinem inneren auge das bild eines u-boots, das nach langem aufstieg die oberfläche eines unendlich tiefen meeres erreichte, spürte den reiz von gedämpftem licht hinter den lidern, öffnete die augen. Er lag auf einem niedrigen bett ausgestreckt da und wartete, bis die wachheit in seine glieder drang. Als er sich etwas aufrichtete, sah er um sich herum andere auf ähnlichen lagern, schlafend oder aus langen pfeifen rauchend. Der schwere qualm beherrschte die luft, saß unter der decke, in jeder nische. Horden dienstbarer dämonen lauerten in dem rauch. Neben ihm stand wasser in einer schale. Er trank, horchte auf das, was teil von ihm geworden war. Die tür hatte lange offengestanden. Sie sich jetzt schließen zu sehen, zu spüren, wie der sog ihn losließ, entmutigte ihn nicht. Alles hatte sich verändert. Seine beine taten ihren dienst, sie machten ihn aufrecht. Er stand mit hoch erhobenem haupt unter der niedrigen decke und spürte, wie sich in ihm ein lachen ausbreitete. Es war gut, dass das alles kein traum gewesen war.

(c)venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain