der trommler

ein altes mädchen, für jene die sie besser kannten hieß sie gerta, für alle anderen frau struwe, wohnte in einer mittelgroßen stadt seit etwas über vierzig jahren in einem mehrparteien haus. sie war allein, seit ihr mann, den sie immer für einen liebenswerten nichtsnutz gehalten hatte vor einigen jahren am schlag gestorben war. Gertas welt war gut sortiert. Sie wusste was anstand war und hielt ihre wohnung sehr sauber, ging regelmäßigen dingen nach und achtete sehr darauf, dass alles seine ordnung hatte. Von allen die in dem haus wohnten, war sie am längsten da. In all der zeit waren manche nachbarn gestorben, viele waren ausgezogen, immer wieder gab es neue mieter, über oder unter ihr, oder nebenan. Ein mehr oder weniger ständiges kommen und gehen. Gerta war inzwischen nicht mehr gewillt sich all die gesichter zu merken, es war überhaupt eine vergebliche mühe sich immer wieder neu vorzustellen, immer wieder so zu tun, als ob man erfreut wäre den neuen im haus kennen zu lernen, wo der, oder die doch ohnehin bald wieder weg und bis dahin wahrscheinlich eher ein ärgernis sein würde. All diese gesichter verwischten zu schatten, zu schnell um genau hin zu sehen. Aber eines ließ sich gerta nicht nehmen, dafür machte es ihr in gewisser weise einfach zu viel spaß und spaß gab es in ihrem leben nicht häufig. Wenn so ein pinsel von nachbar sich einbildete laut sein zu dürfen, dreck machen zu können, oder sich sonst wie unanständig zu benehmen – gerta wartete eigentlich nur darauf, denn früher oder später taten das die allermeisten – ging sie zu ihm und bläute ihm ein was sich gehörte.

Zum beispiel dieses laute bumpern aus der wohnung über ihr. Der kerl war gerade erst eingezogen und schon machte er so viel lärm, dass sie es in den eigenen vier wänden hören konnte. Wahrscheinlich nannte er das noch musik. Also war es einmal wieder soweit. Gerta machte sich auf den weg, die treppe hinauf, wobei ihr die knie schon ziemlich weh taten, das wurde nicht besser mit der zeit. Oben angekommen drückte sie die klingel, einmal, zweimal. Das könnte auch schneller gehen, dachte sie sich. Sie hatte den mann bisher nicht gesehen, oder vielleicht war er auch einfach an ihr vorbei gerauscht, aber erwartet hatte sie nichts anderes. Ungekämmte haare, eine hose und einen pulli die viel zu groß waren, aus der wohnung kam ein schwerer geruch und das gebumper war noch lauter, weil er es natürlich einfach hatte laufen lassen, als er an die tür gegangen war. Gerta wollte gar nicht zu genau hinsehen, sie wusste ja sowieso, was sie vor sich hatte, nämlich einen störenfried und die waren letztlich doch alle gleich. Sie hob die stimme an und legte los, kurz und bündig, von oben herab und distanziert, mit genau der richtigen sorte empörung, wie sie fand. Ihr mann, dieser waschlappen hatte das nie gekonnt, aber für sie war das ein kinderspiel. Sie war schon soweit, sich empört umzudrehen um wiedernach unten zu gehen, da hob dieser kerl die arme und machte irgendetwas mit den händen. Gerta fühlte wie plötzlich eine schwäche über sie kam, so als bliebe ihr der atem weg, oder als ob ihr das herz aussetzte. Ihr wurde für einen moment schwarz vor den augen. Als sie wieder richtig sehen konnte, hielt der flegel eine flamme in der rechten hand, die sah irgendwie kränklich und blass aus. Gerta war bestürzt. Er hatte gar nichts, womit das feuer zu erklären war, kein feuerzeug, kein streichholz, die flamme schwebte einfach über seinen fingern, die sich an den spitzen berührten und dann führte er sie an seinen mund, sperrte ihn auf und schluckte die flamme einfach herunter. Weg war sie. Und jetzt grinste er frech. Gerta blieb der mund offen stehen und ihre augen wurden ganz groß als der mann vor ihr sich einfach aufzulösen schien, durchsichtig wurde, farblos und mit einem mal verschwand. Durch die offene tür sah sie eine völlig leere wohnung vor sich. Da war nichts drin, kein geruch kam da heraus und auch kein geräusch. Einfach nichts. Die wohnung war ja noch gar nicht bezogen worden. Die neuen mieter würden erst in zwei wochen einziehen. Gerta runzelte die stirn. Sie kam sich etwas dumm vor und dachte sich, dass sie mit dem alter vielleicht wunderlich wurde. Sie fühlte sich wirklich schwach. Ihr kopf musste für den augenblick ausgesetzt haben. Sie saß in ihrem sessel und stellte fest, dass der tee kalt geworden war. Es war doch gerade erst mittag gewesen und jetzt wurde es draußen schon dunkel. Sie musste eingeschlafen sein und hatte schlecht geträumt. Gerta beschloss sich bald einen termin bei ihrem hausarzt geben zu lassen. Vielleicht morgen, wenn sie eh zum einkaufen aus dem haus gehen musste.

In der nacht hatte sie einen ganz seltsamen traum. Ihre wohnung sah komisch aus. Überall lagen da teppiche, die sie nicht kannte, an den wänden hingen bilder die ihr angst machten. Es gab keine stühle und auch keinen tisch, nur solche kissen und vor ihr lag ein silbernes tablett mit so einem ding darauf, dass sie erst nicht erkannte, aber dann wusste sie plötzlich dass es eine pfeife mit einem sehr langen mundstück war und dass sie daran gezogen und diesen schweren rauch eingeatmet hatte, wegen dem es in dem zimmer so absonderlich roch. Sie war in der wohnung nicht allein, wusste sie, da war noch jemand, aber wer, dass viel ihr nicht mehr ein. Die person lebte auch hier und hatte alle dieser bilder an die wände gehängt, die sich jetzt zu bewegen anfingen. Lauter gesichter, die auf sie herab blickten. Gerta tat so , als ob sie nichts bemerkt hätte und schaute so auf dem teppich unter ihr hin und herg, als ob sie etwas suchte, da kam dieser jemand ins zimmer und hatte lachte ganz böse. Und davon wachte sie auf. Es war noch dunkel, aber sie stand trotzdem auf und ging in die küche um sich einen tee zu machen. Gerta zitterte, der traum hatte ihr schreckliche angst gemacht. Albträume kamen in ihrem leben nicht vor, nicht mehr seit sie ein kleines mädchen gewesen war. Für gewöhnlich hielt sie in ihren träumen die wohnung sauber, sortierte die vorräte im schrank in der küche oder entstaubte ihre glasfigurensammlung. Gerta brauchte lange um zur ruhe zu kommen. Da war es dann schon hell und sie rief bei ihrem hausarzt an.

Der arzt untersuchte sie gründlich und empfahl ihr weniger tierisches eiweiß zu sich zu nehmen und spät am abend nur noch beruhigungstee ohne zucker zu trinken. Ansonsten, meinte er, sei alles in ordnung und albträume kämen nun mal vor. Gerta fühlte sich beruhigt. Sie ging einkaufen, in der innenstadt. Ihre rolltasche war schon voll mit lebensmitteln und dingen von der apotheke, als sie beschloss, sich noch nach ein paar kleidungsstücken umzusehen. Die üblichen läden, die gewohnte auswahl, sie wusste was sie suchte. Dann stand sie in einem kaufhaus an einer auswahl von wintersachen für ältere damen, als etwas über sie kam. Es kam aus dem bauch, es stieg in ihrer kehle aufwärts, alles prickelte und ihre hände und knie zitterten und dann platzte es einfach so aus ihr heraus. Es war ein schrei, sehr laut und sehr schrill. Sie konnte gar nicht damit aufhören, immer wieder schnappte sie nach luft und schrie und schrie, ließ dabei ihre tasche fallen und fuchtelte mit den armen, bis ein paar leute kamen, die sie packten und dann bekam sie nichts mehr so richtig mit, wusste nur, dass sie irgendwann zu schreien aufgehört hatte und sich schließlich völlig verdutzt in der fussgängerzone wiederfand. Sie hatte ihre tasche bei sich, es war alles da, auch ihr geldbeutel und die brieftasche mit ihrem busfahrschein. Es erschien ihr sehr unwahrscheinlich, dass das eben wirklich passiert war. Das musste wieder so ein aussetzer von ihrem gehirn gewesen sein. Sie war doch gerade erst bei dem arzt herausgekommen und hatte ein paar sachen eingekauft. Ihr kopf brummte ganz schrecklich als gerta sich auf den weg zur bushaltestelle machte. Von dem was um sie herum vorging nahm sie wenig war. Da war nur so ein geruch, der ihr in die nase stieg und der angenehm auf sie wirkte. Ihre füße folgten diesem geruch, führten sie an irgendeinen ort, an dem sie irgendetwas kaufte, sie nahm den bus, ging nach hause, in ihre wohnung, machte die tür zu und legte sich sofort in ihr bett um zu schlafen.

Dieser traum war noch seltsamer. Da war dieser mann wieder, der mit ihr in der wohnung wohnte, wieder diese wohnung, die nicht wirklich ihre wohnung war, wieder diese pfeife und der schwere rauch und so ein bumpern. Sie suchte überall danach wo dieses bumpern herkam, bis sie den mann fand, der auf eine trommel schlug, immer wieder drauf schlug und die gesichter aus den bildern kamen wie rauchfahnen aus den rahmen heraus und wirbelten um sie her und fragten sie, ob ihr herz den keine musik mache. Als gerta die augen aufschlug, stellte sie fest, dass ihr ganzes zimmer voller rauch war, der fett und schwer roch und von solchen räucherstäbchen herkam, die sie überall in der wohnung angezündet hatte, sie stellte auch fest, dass sie zwei teile von ihrem zerbrochenen besenstiel in der hand hielt und dass sie damit wie eine völlig verrückte auf alles einschlug, was in ihrer nähe war und dabei wie angestochen durch alle zimmer hetzte. Boden, wände, heizkörper, schränke, geschirr, türrahmen, fenster, sie hämmerte auf alles ein, in immer gleichen abständen, links rechts, links links rechts, links rechts rechts links und dazu stampfte sie auch noch auf den boden und ruinierte das laminat und ihre ganze schöne einrichtung ging zu bruch und die glasfigurensammlung tanzte in scherben um sie her. Und dann zerriss etwas in ihrem gehirn.

Die alte frau löste sich auf, wurde durchsichtig, fablos und verflog wie eine fahne rauch und mit ihr ihre möbel und der ganze rest ihrer wohnung und machte einer anderen einrichtung platz. Da lagen teppiche und kissen auf dem boden und bilder hingen an den wänden. laternen verbreiteten vielfarbiges licht. Ein trommelrhythmus sorgte dafür, dass sich alles zu bewegen schien. ein junger mann lag ausgestreckt in der mitte des zimmers, wippte mit den füßen, mit geschlossenen augen und einem lächeln auf den lippen.

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain