Ein anderes spiel

Alba war glücklich. Alles was sie brauchte war hier und sie wusste kaum etwas von dem, was sich hinter den bergen befand, die das land und die kleine siedlung umringten. Alba hatte hier sogar ihre liebe gefunden. Ein haus und zwillinge im kinderbett waren gefolgt. Sie war nicht ganz 20 jahre alt und ihr schicksal schien sich bereits erfüllt zu haben. Es war nicht das ausgelassene glück der begeisterung, sondern eines der ruhigen zufriedenheit. es war eine gewissheit: Die schützenden hände der mächtigen waren über ihr und ihrer jungen familie.

Ein heißer frühsommerabend, das leben war im aufstieg begriffen. Alba war wieder schwanger, von einer nacht im mai, der letzten nacht, in der harson mit ihr geschlafen hatte. Danach hatte soviel arbeit beide vom ehelichen vergnügen abgehalten. Nächte, in denen harson wie ein stein ins bett fiel und sofort einschlief. So würde es auch heute sein.

lange nach einbruch der nacht kam harson aus dem dunkel nach hause, aß und legte sich nieder. Er ließ sie im unwissen darüber, wo er gewesen war, ließ sie in dem zweifel, der in ihr erblühen musste. Das erste mal war er am ende eines langen tages auf dem feld nicht wie sonst bei sonnenuntergang nach hause gekommen. Sie sah ihn sogar, dort auf dem feld in richtung des heraufziehenden dunkels schauend, ohne zu erkennen, was seinen blick auf sich zog, und dann im zwielicht seine gestalt aufgeben. erst kurz vor morgengrauen war er heimgekehrt. Etwas hatte sich verändert, in der art, wie er mit ihr umging, mit ihr sprach. Etwas wie ungehaltensein war in seiner stimme, etwas fremdes und etwas, so kam es ihr vor, wie ein eingeständnis seiner schuld ihr gegenüber, gepaart mit arroganz und einem anteil von bosheit. Alba wusste – Das hatte nichts mit unsicherheit und angst zu tun, war keine einbildung – Alba wusste, dass es eine andere frau gab, mit der harson sich eingelassen hatte, oder vielmehr eine frau, die sich ihren mann aneignete, wie eine höhere macht, die doch niederen zielen folgte.

Sie ging ihm nach, einige tage später, heimlich, ungesehen, in das düster des großen waldes, in das zwielicht. Über kaum sichtbare pfade, die tiere getreten hatten, bis sie selbst nicht mehr wusste, wo sie sich befand. Er ging zielstrebig, wie von einer erwartung beflügelt, voller verlangen, einem vorherbestimmten ereignis entgegen. Manchmal verlor sie ihn aus dem blick, aber ihr herz wusste ihm zu folgen. Schwere äste strichen über ihre schultern, ihr haupt, griffen nach ihren händen, wie um sie aufzuhalten. Sanft, dann fester und in dem aufkommenden wind schließlich stürmisch und wie voller hast. Um sie von einer schrecklichen erfahrung, einer unheilvollen begegnung zu schützen. Alba wusste ihnen auszuweichen, wie gutgemeintem rat von freunden, dem höflichen, aber bestimmten zuruf von wächtern, dem harschen gebot von kriegern, die ihren herrn schützen. Als sie aus dem gehölz unvermutet heraus auf eine freie fläche voller gras und wilder blumen trat, blieb sie stehen, vor einem hügel, der sich erhob wie der leib einer schwangeren frau und seine kuppe ihrem blick hinter seiner wölbung entzog. Etwas wollte hier geboren werden. Es war inzwischen dunkel geworden, aber der mond stand voll über dem ort und sein halblicht eröffnete die welt unter der haut der dinge. Eine spannung in der luft, beinahe ein knistern, das gewisper von geistern ohne zahl in sich aufnahm, die diesen ort bewohnten. Sie alle ermahnten sie, heim zu gehen, an ihren herd, zu ihren kindern und den sinn vor dem höheren zu beugen. Sie sollte vor der macht knien. Sie sollte ihr haupt beugen und gehen. Alba stieg den hügel hinauf, silbrige blüten schauten ihr schalkhaft hinterher, der wind verhöhnte sie, griff nach ihrem kleid und ihrem langen haar, er drängte sie seitwärts und hinab, stieß sie zurück, drückte sie zu boden. Sie kroch weiter hinauf, verfing sich mit den gliedern in schlingen, riss sich los, achtete nicht auf den schmerz der striemen und risse in ihrem fleisch. Der blick auf die kuppe des hügels war frei und sie wurde zeugin. Eine strahlende schönheit, eine furchtbare kraft, eine mächtige im wilden ritt mit ihrem ehemann. Eine göttin hatte sich herabbegeben und ihr herz genommen. Die göttin über ihr, mit ihrem mann im tanz der lust, war nicht allein gekommen. Geisterfratzen, windgesichter und klauen aus eis tauchten an beiden seiten albas auf und rissen sie von den füßen. Stürmisch schleuderten sie ihren leib und trieben ihn gegen all ihre kraft den hügel abwärts. Sie landete im dreck, blutend. Die geister tanzten über ihr im kreise um den hügel, lachten schrecklich, stiegen auf und ließen sie zerschlagen liegen. Alba kam auf hände und knie und floh voller zorn und voller schmerz. Die bäume bogen sich vor lachen, die ranken peitschten triumphierend auf sie ein. Bis sie den waldrand erreichte war alba geschunden und ihre kleidung zerfetzt. Halbnackt blieb sie auf dem feld liegen, bis sie ihren hass und ihre angst gezügelt hatte. Dann schlich sie heim und als er nach hause und in ihr ehebett kam, bemerkte er nichts.

Er bemerkte auch am nächsten tage nichts, was alba nicht herunterspielen konnte und sein interesse an ihrem körper war schon lange so klein, dass sie keine enthüllung zu fürchten brauchte. Die geschichte hatte kein ende, er ging und ging, jeden tag, jede nacht zu seinem verwünschten paradies, ihrer schmach in den wald. erinnerung und vorstellung brachten alba dem wahnsinn nahe. Eine zeit lang war sie verängstigt, eingeschüchtert von der macht, die sich in den wächtern gezeigt hatte. Eine zeitlang war sie niedergeschlagen und ratlos, ohnmächtig und in ihren täglichen verrichtungen wie von einem fremden und sinnlosen willen gesteuert – eine zeitlang, bis sie eine entscheidung getroffen hatte. alba würde sich keiner höheren macht beugen, wenn es um ihre familie ging.

Ihre liebe zu harson war stark und sie würde ihn aus den vielleicht zarten, aber gewiss lieblosen klauen dieses mächtigen wesens befreien. Sie wäre bereit sich selbst für ihre liebe und ihr eherecht zu opfern. Was waren das für mächtige, die die gesetze nicht einhielten, die sie selbst den menschen doch gegeben hatten. Albas opferbereitschaft schloss das kind mit ein, das in ihrem bauch heranwuchs, oder vielmehr gerade für das kind und die zwillinge würde sie um ihr recht kämpfen und so war ihre entscheidung eine kalte kampfansage von innerem feuer, dem selbst eine der mächtigen in ihrer kosmischen gleichgültigkeit nicht würde den atem nehmen können. Ihr wahr allerdings wohl bewusst, das der blanke zorn nur eine klinge war, die mit kunst geführt werden musste und sie hatte keine ahnung davon, wie einer göttin zu leibe gerückt werden könnte. Für die menschen ihrer kleinen gemeinschaft waren die mächtigen immer unantastbar, immer erhaben gewesen. Sie alle wussten ihnen zu opfern, zu beten und zu hoffen, dass die götter in ihrem willen den sterblichen beistünden, oder zumindest ihnen ihr gut und leben ließen. Die mächtigen waren nicht berechenbar, aber es bestand immer die hoffnung und der glaube, das ihr wirken auch den sterblichen zum besten gereiche. Gewiss war noch keinem aus ihrem dorf, wenn nicht vor lang vergessenen zeiten, der gedanke in den sinn geraten, die hand und den mut gegen einen der götter zu erheben. Die einzigen, denen solche heräsie zugetraut werden mochte, waren hexer. Menschen, die sich selbst in ihrem hochmut mächtige zu nennen wagten, ausgestoßene, einzelgänger, die ihr haupt nicht beugen wollten, die mittel und wege kannten, die kein ehrfürchtiges wesen für sich beanspruchen würde. So einen würde sie um rat und beistand bitten müssen.

Alba wusste von einem hexer der fernass genannt wurde und in den bergen lebte. Ein einsiedler, dessen wohnstatt sich ausnahm wie ein bloßer hügel, wenn man nicht genau hinschaute. Der mann war uralt, war schon in ihrer kindheit ein kinderschreck gewesen. Es hieß, er habe als junge den göttern entsagt und sei seither dem anderen verfallen, dem dunklen spiegel der mächtigen.

Alba betrachtete ihren körper – ein armseliger gegenstand, wenn man ihn mit den augen des geistes ansah. Die dumpfen augen unterschieden sich nicht von denen eines tieres, sie ließen keinen traum vermuten, kein inneres feuer. „götter vergessen manchmal, dass menschen seele und geist besitzen. Und das obwohl sie davon leben. Um diese göttin zu besiegen, musst du dich von deinem körper trennen und ihn, deinen leib als köder aussenden.“ sie würde in den augen einer mächtigen nicht bedeutsamer erscheinen als eine made, oder ein stein. Sie trennte sich von dem seltsamen bild und wendete sich dem fernen hügel zu. „du willst eine göttin töten. Das ist verrückt! ich sehe es in deinen augen, dass du über den punkt hinaus bist, wo man noch von mut sprechen kann. Aber deine hybris gefällt mir. Ich werde dir helfen.“ für den geist ist entfernung ein hintergehbares konstrukt. So blieb ihr viel zeit zu beobachten, während ihr körper sich mühsam herschleppte. „was würdest du tun, wenn dein gott begänne, rational zu handeln. Wenn du erkenntest, dass sich auch dein gott den forderungen der vernunft ergeben hat, einer höheren macht und scheinbaren notwendigkeit. Würdest du nicht den respekt vor ihm verlieren und aufhören, ihn deinen gott zu nennen? Von göttern darf man keine gerechtigkeit erwarten.“ Sie sah harson und die göttin, sah lieder und duft von blüten aus traum, sah was sie erzürnte, was ihren leib schneller werden ließ, sah verrat und geraubte lust. schmerzen und verlangen, wehmut und verletztes herz, alba schaute auf ihre gefühle, wie auf eine palette von tönen, mit denen sie ihren taten gestalt verleihen würde, so erhöht, ihrer selbst entbunden, wahrhaft frei. „Die mächtigen stehlen nicht, sie nehmen.“ ihr körper vom durst nach rache erfüllt erreichte die wiese zu füßen des hügels und stieß ein zorniges, tierhaftes geheul aus. Die wächter wendeten sich dem störer zu, der so vermessen sein recht verlangte und fegten die flanken des hügels hinab. Der geist zögerte nicht, aus der eisigen ruhe ihres herzens stieß alba auf die göttin zu und drang in sie ein, füllte sie mit all ihrem selbst und dem ihres kindes, füllte sie und brachte sie zum bersten. „ein stern weniger am firmament, aber das bemerkte kaum jemand.“ Die wächter, die ihr versagen erkannten und sich von dem tobenden leib fort den hügel hinauf warfen wurden von der sich in strahlen entladenden essenz ihrer herrin davongerafft.

Wie vieles könnte jetzt geschehen?

in harsons augen wandelte sich das grauen in erkenntnis und erkenntnis in panik. Panik schließlich wich der erfurcht. Seine frau war zu einer mächtigen geworden, bedingungslos und fürchterlich. Er schwor sich, er würde in zukunft ein treuer und lieber ehemann sein, seinen kindern ein guter vater, seines überlebens froh.

Er floh über die berge und wurde nie wieder gesehen.

Er wurde verrückt.

Er starb, in einem stillen augenblick.

„meinem tod ging eine reihe sehr eigentümlicher empfindungen voraus, ein staunen, eine angst, eine hoffnung, ein zorn, alle diese empfindungen waren von einer für mich ungekannten intensität und von einer bestimmten, unbestimmten farbe, von einer schwermut begleitet, die mich nur im augenblick sein ließ, die den eindruck vom verstreichen der zeit ganz und gar aufhob, die den tod selbst, auf den ich unweigerlich bald treffen musste in die ferne der ewigkeit rückte. Staunen, Angst, hoffnung und zorn in einem rad, dass sich unaufhörig drehte.“

(c) venom&claw

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain