schlag 13 – teil 4

Feindseele

der gedanke an offene feindschaft ist für die meisten von uns schwer zu ertragen. Feindschaft stellt uns bloß, darum wählen wir den schleier der höflichkeit und ziehen den schutz der menge vor, anstatt uns voran zu stellen mit dem bekenntnis zur feindschaft auf unseren stirnen. Aber wenn wir uns entschließen, aus der menge hervorzutreten überkommt uns mit der entschlossenheit auch eine ungeahnte kraft. Von diesem punkt an offenbart sich die überragende macht des willens.

Seelen fließen ineinander, mit der zeit. Zumeist braucht es viel davon, zuweilen aber auch nicht. Manchmal genügt ein einziger blick. Ein einziger blick reicht der schwärze der pupille aus, um die ganze schwärze zwischen den sternen in sich aufzunehmen, oder den hass eines ganzen lebens. Ungeachtet so verschiedener erfahrung, wie sie ein leben vom andern trennt, überträgt sich der abgrund und frisst sich mit heißem hunger in das neue, unverbrauchte und macht daraus seine neue walstatt, seine neue festung. So kann das lodernde banner der feindschaft durch die zeiten weiter wehen.

Die gimmligen toten müssen aufpoliert werden, die verstümmelten toten müssen geflickt, die obduzierten toten gestopft und wieder zusammengenäht. Alle toten müssen geschminkt und parfümiert werden. Die särge müssen wegen des auslaufs sich verflüssigender toter abgedichtet werden. Tote müssen angekleidet und feingemacht werden. Als bestatter hat man viel zu lernen. Mein gesellenstück besteht darin, den leichnam meines meisters für den letzten gang vorzubereiten, wobei mir sein geist kritisch über die schulter schaute und nicht wenig mit schauder und aufgestelltem haar dazu beiträgt, dass mir seine anwesenheit bewusst ist. Die letzte intimität wird von einem ernsten gemisch von gefühlen begleitet. Unglaube und trotziger widerstand gegen das unausweichliche oder beunruhigte unwissenheit, reue und trauer, pikiertheit, scham, zorn, abschied von einer lebenslangen liebschaft zum eigenen körper oder auch feindschaft und noch mehr. Der bestatter badet in dieser mixtur aus menschlichkeit, ob bewusst oder nicht. Wir alle dienen dem schmerz des lebendigen, in dem wir ihn den toten von den schultern nehmen. Das ist die aufgabe – die zu erfüllen nicht immer gelingt.

Ein kinderkörper ohne herz…, die verletzung im geistigen fleisch genauso monströs wie in dem des körpers. „Du musst noch warten, kleiner geist, immer einer nach dem andern, jeder verdient die zeit und die aufmerksamkeit, die es braucht, seine reste in die letzte form zu bringen. Ich komme gleich zu dir.“

Mein meister lächelt. Sein letztes gesicht ist freundlich, ruhig, wie schlafend. Und sein geist ist zufrieden. Morgen ist dein großer tag, alter mann. Das feuer brennt schon für dich. Und jetzt zu dem kind. Kann ich das herz beschaffen? Damit dieser gebrochene wurm seinen frieden machen kann? „Dann lass mal sehen, mein kleiner…“

ein triftiger grund für fortgesetzte feindschaft ist natürlich das ausbleiben einer besänftigung nach erfolgter kränkung, die fehlende satisfaktion, die das verletzte ehrgefühl wieder herstellt. Eine persönliche beleidigung schwelt solange vor sich hin und frisst sich in die seele, bis sie aus der welt geschafft wird. Und wie ist das mit der ehre? Zuweilen fühlt sie sich ganz einfach dann beschmutzt, wenn ihr träger in einem streit keine argumente mehr findet, wie als letzter ausweg, wenn sonst nur die alternative bleibt, einzugestehen, dass man im unrecht ist. Ich glaube, dass der urvater meiner feindseeligkeit in den lange vergangenen tagen seiner lebendigkeit auf etwas traf, das ihn so tief im innersten erschütterte, das ihn so sehr im guten, aber schließlich doch irrigen glauben enttäuschte, das sein wahres und geliebtes selbst nicht von der erfahrung loskommen, nicht sich angesichts der ihm bewusst gewordenen gefährdung jemals wieder sicher fühlen konnte. Und da blieb, anders als die völlige aufgabe und resignation nur der weg des offenen hasses und des krieges im herzen. Als dann im angesicht des todes noch immer keine linderung, keine besänftigung zu erlangen war, stahl sich dieser hass mit dem letzten blick aus seinen augen fort in das herz seines gegenübers, seines feindes – paradoxerweise – und machte selbst aus ihm einen unbedingt gehorsamen gefolgsmann der eigenen sache.

Alles was mir bisher begegnet ist, gleicht einem schatten, der eigentlichen ursache der feindschaft so ähnlich und doch so ungleich ihr selbst, dass keine echte befriedigung aus der konfrontation zu gewinnen ist. Stellvertreter des bösen, stellvertreter des guten, nur die vorwände wahrer beweggründe, ein schattenspiel, ein spiel hinter masken, die jede für sich nicht das auszudrücken vermögen, was zweiter und dritter hand dahintersteht. Wie in einem traum, aus nebeln angefüllt, die den wahren grund verbergen. Und doch gehe ich wieder auf die jagd – mit einer tageszeitung.

Was ist z.b. mit diesem medium? Da glaubt sie wirklich, hinterbliebenen einen guten dienst zu erweisen und plötzlich, mitten in ihrer seance, bricht ein rachegeist aus einem ihrer gäste hervor. Die reste die ich auf den tisch bekam, waren nicht mehr als grausam zugerichtete stücke fleisch.

drei männer ritten durch einen sich verdunkelnden wald, auf der jagd nach einem wilden tier. In schweres leder gekleidet und mit lanzen bewaffnet, deren schwere eisenspitzen vor ihnen wie schlangenköpfe durch gras und anschließendes gestrüpp streiften. Das geteilte licht des abends hatte begonnen, jede farbe entzwei zu brechen und allen drei war nicht wohl dabei, zu dieser zeit des tages in rumors reich einzudringen, aber der geist des tieres, dem sie auf der spur blieben, war zu hungrig geworden, viel zu hungrig und wild, um ihn noch einmal entkommen zu lassen, nachdem er zwei schafe und einen schäfer gerissen hatte. Die bestie war hier zu hause, die männer hingegen eindringlinge, die nacht und das flüsternde holz würden sie nicht weit kommen lassen, wenn sie sich nicht an bestimmte regeln hielten, darum benutzten sie keine fackeln, sondern beschränkten sich auf das fahle seelenlicht, dass eom, der schamane unter ihnen befehlen konnte. Rumor duldete keine langen messer, darum hatten sie ihre schwerter wie grabzeichen in den boden gerammt am waldrand hinterlassen. Mashmar, der jagdführer hatte daraufhin den flachen stein betreten und ein kleineres blutopfer aus einer vene an seinem arm dargebracht und korjan, der sicherste schütze der drei, einen verbundenen pfeil mit drei geisterfedern als pfand für die erdfrauen gegeben, der jetzt tief im inneren eines ihrer bauten stak und ihnen mit etwas glück wieder gegeben würde, wenn sie den wald nach der hatz verließen. Dem lanzengespür folgend, gerieten sie tiefer und tiefer in das holz, bis sie vor sich das zornige grollen der in die enge geratenen bestie hörten. Mashmar und eom, jetzt mit über die köpfe erhobenen lanzen preschten vor, von eom mit dem seelenfeuer auf dem schaft vorgestreckt dicht gefolgt und alle drei stießen unversehens in einen sich wie ein zahniges maul auftuenden graben hinab. Die pferde kamen ins stolpern, fingen sich nur gerade so am grund ab, anstatt in einem haufen gebrochener knochen zu enden und gingen gleich in schnelle und von terror getriebene gangart über auf das grollen zu, das jetzt aus geringer entfernung vor ihnen kam und sich geisterhaft von ihnen entfernte. Der waldboden befand sich jetzt über den häuptern der männer und sie hielten links und rechts nach wegen aus dem hohlweg ausschau um wieder übersicht und oberhand zu gewinnen, aber an beiden seiten stieg der graben nur in steilen wänden auf und ihnen blieb nichts anderes, als sich weiter dem pfad zu überantworten. Dunkel lastete jetzt auf ihnen und schatten, die sie selbst warfen jagten an beiden seiten neben ihnen her, umrandet vom schein des seelenfeuers und unversehens war von dem grollen nichts mehr und dafür ein tausendstimmiges heulen zu hören. Der graben wich einer weiteren senke aus staub und trockener wind schlug ihnen entgegen, der angefüllt war von zähnen. Und das ist die gefahr bei der jagd, das man auf etwas stoßen kann, was man nicht zu finden gehofft hat. Wie zum beispiel den unbeabsichtigten übergang in eine andere welt.

Ich betrat den tatort, nachdem polizei und mediziner ihn längst verlassen hatten und nur noch ein paar streifen plastik zur absperrung von ihrer arbeit geblieben waren. Von hier aus wanderte ich halbblind durch die nacht, einer verblassenden spur folgend, und wäre ich bei tag gegangen, hätte ich den abzweig auf der landstraße übersehen, genau wie die hüter der ordnung, die seit tagen nur gefälschtem augenschein aufgesessen waren. Ich fand das sägewerk und den streifenwagen kurz vor dem morgen.

Das haupthaus leuchtet schweflig neben dem blaudunkel des flusses. Wie ein magnet in der mitte eines labyrinths zieht es macht und bosheit an. Ich bin nicht der einzige, der hierher, wie auf fäden eines spinnennetzes direkt in dessen zentrum vorgedrungen ist. kleinere und größere entitäten gehen, schweben oder schlängeln darauf zu. aus allen himmelsrichtungen. Motten und licht. Brackwasser und eine ansammlung modriger dinge. Ich bleibe unbemerkt, wohl weil ich mich wie alles andere direkt auf die löwenhöhle zubewege. Angezogen von einem verlorenen, geraubten herz. Unter den wesen, die von allen seiten herbeiströmen ist eines, dass meine aufmerksamkeit erregt. Wankend wie ein baum und groß, mit einer hörnerkrone. Ein schuppenkleid und wie feine Accessoires teile einer jungen frau daran befestigt. Der mächtigste unter allen ankömmlingen wankt geradenwegs auf den eingang des hauses zu und als er es erreicht, bin ich nur wenige schritte hinter ihm. Er zwängt sich mit dem kopf voran durch die tür, ich folge ihm bis zur schwelle, wo das gesuchte herz schlägt. Es schlägt tatsächlich, ohne verbindung zu einem körper, es sei denn, dass die gesamte szene aus haus, den geistern und der anwesenden macht wie ein körper funktioniert, eine strukturierte ansammlung von organen, ein organsimus. Ich bleibe auf der schwelle stehen und schaue in das haus hinein, wo der gehörnte in die knie geht, seine hände enganliegend nach vorne gestreckt, wie um seine gefangenschaft einzugestehen. Zwischen ihm und wand und tür sehe ich von seinem gegenüber nicht mehr als ein paar ausgestreckte stiefel.

Die feindschaft hält ewig, ich nehme das herz, sie ist stärker als wir alle, ich laufe davon, und stärker als die furcht, die mir einst den letzten atem stiehlt.

Veröffentlicht von

Tobias Reckermann

Schriftsteller Mitarbeiter bei Whitetrain